Rz. 11

Die Hinweispflicht gilt für Erklärungen und Anträge. Eine Erklärung ist nach dem Normzweck jede Rechtshandlung, d. h. jedes erlaubte rechtswirksame Handeln, an das sich die für die Wahrung der rechtlichen Interessen des Beteiligten im Besteuerungsverfahren erforderlichen Rechtsfolgen knüpfen. Die rechtlichen Interessen können rechtsbegründenden, -verbessernden und/oder -wahrenden Inhalts sein. Der Erklärungsbegriff ist in einem untechnischen und weiten Sinne zu verstehen. Erklärungen sind danach nicht nur Willens- und Wissensbekundungen jeder Art, sondern auch sonstige Mitwirkungs- und Tathandlungen.[1] Hierzu zählen u. a. die Geltendmachung von steuerlichen Abzugsbeträgen (z. B. Werbungskosten, Betriebs- und Sonderausgaben), Beweisanträge sowie rechtliche Beurteilungen. Schließlich beinhaltet auch die Ausübung eines steuerlichen Wahlrechts eine Erklärung.[2]

 

Rz. 12

Anträge sind ein Unterfall der Erklärung.[3] Da jeder Antrag somit zugleich eine Erklärung beinhaltet, hätte auf dessen ausdrückliche gesetzliche Nennung an sich verzichtet werden können. Anträge können sowohl verfahrenseinleitenden[4] als auch verfahrensbegleitenden (z. B. Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, Aussetzung der Vollziehung, Beschränkung der Vollstreckung) Charakter haben.[5]

 

Rz. 13

Eine Erklärung ist versehentlich nicht oder unrichtig abgegeben worden, wenn der Beteiligte diese unbewusst und ungewollt abgegeben bzw. dies unterlassen hat. Bei einem Antrag ist dies der Fall, wenn der Antrag "gewissermaßen in der Luft liegt" bzw. sich nach dem vorliegenden Sachverhalt "aufdrängt".[6]

 

Rz. 14

Unkenntnis liegt vor, wenn der Beteiligte ohne Wissen über die Bedeutung einer Erklärung nicht gehandelt hat oder über Art und Inhalt seiner Verfahrenshandlung im Irrtum und damit letztlich "nicht im Bilde" war.[7] Beide Merkmale stellen nicht auf die Ursache des Versehens bzw. der Unkenntnis ab. Sie sind insofern verschuldensunabhängig. Die Fürsorgepflicht der Finanzbehörde besteht somit auch dann, wenn die Nichtabgabe der Erklärung bzw. die Abgabe einer unrichtigen Erklärung auf ein (grob) fahrlässiges Verhalten des Beteiligten zurückzuführen ist. Die Frage, ob der Beteiligte i. d. S. schuldhaft gehandelt, d. h. die im Rechtsverkehr erforderliche Sorgfalt (in besonders hohem Maße) verletzt hat, spielt aber im Rahmen der Rechtsfolgenprüfung behördlicher Fürsorgepflichtverletzung eine Rolle.

 

Rz. 15

Unrichtig abgegeben ist eine Erklärung, wenn sie aus Sicht der Finanzbehörde ungeeignet (weil z. B. die gewollte Rechtsfolge nicht an sie geknüpft bzw. die von ihr ausgelöste Rechtsfolge im Einzelfall rechtlich unzulässig ist) oder zur Rechtswahrung unzweckmäßig, mehrdeutig oder ergänzungsbedürftig ist. Erklärungen sind nach dem Normzweck deshalb auch dann unrichtig, wenn sie die ungünstigeren von mehreren zulässigen Rechtsfolgen bewirken. Ein Rechtsverlust kann somit auch durch den Verlust einer günstigeren wirtschaftlichen Position eintreten. Unterblieben ist eine Verfahrenshandlung, wenn sie weder ausdrücklich noch konkludent abgegeben wird.

[1] Koenig/Wünsch, AO, 3. Aufl. 2014, § 89 Rz. 8; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 17. Aufl. 2016, § 25 VwVfG Rz. 13.
[2] Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 89 AO Rz. 3; Söhn, in HHSp, AO/FGO, § 89 AO Rz. 56.
[3] Koenig/Wünsch, AO, 3. Aufl. 2014, § 89 Rz. 8; Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 89 AO Rz. 3.
[4] Z. B. Antragsveranlagung, § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG.
[5] Zur Unterscheidung von echten/unechten sowie selbstständigen/unselbstständigen Antragsverfahren vgl. § 86 AO Rz. 16ff.
[6] BFH v. 22.1.1960, VI 175/59 U, BStBl III 1960, 178; BFH v. 18.12.1985, I R 82/85, BFH/NV 1986, 506; AEAO, zu § 89 Nr. 1.1; Söhn, in HHSp, AO/FGO, § 89 AO Rz. 80ff. mit zahlreichen Beispielen.
[7] BFH v. 22.1.1960, VI 161/59, DB 1961, 119; Koenig/Wünsch, AO, 3. Aufl. 2014, § 89 Rz. 10.

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