Rz. 3

Die steuerlichen Verfahren lassen sich zum einen danach unterteilen, ob ihre Einleitung ein vorheriges Handeln (z. B. Antrag) voraussetzt, dieses nur den nicht zwingend vorgeschriebenen Regelfall darstellt oder die Finanzbehörde von Amts wegen tätig wird. Zum anderen wird danach differenziert, ob das Gesetz die Einleitung des Verwaltungsverfahrens zwingend vorschreibt (sog. Legalitätsprinzip) oder die Finanzbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen entscheidet[1], ob und wann sie ein Verwaltungsverfahren durchführt (sog. Opportunitätsprinzip). Das Opportunitätsprinzip gilt insbesondere im Strafverfahrens- und Polizeirecht, wenn die Einleitung eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens angezeigt ist.[2] Das Besteuerungsverfahren indes ist vom Gesetzmäßigkeitsgrundsatz geprägt und zwingt die Finanzbehörde zum Handeln, wenn die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen erfüllt sind.[3] Denn grundsätzlich sind die Finanzbehörden damit beauftragt, die Steuern nach Maßgabe der Gesetze gleichmäßig festzusetzen und zu erheben.[4] Das steuerliche Verfahrensrecht wird demnach vom Legalitätsprinzip beherrscht.[5] Handlungen, die unmittelbar auf die Durchsetzung des Steueranspruchs gerichtet sind, unterliegen mithin dem Legalitätsgrundsatz, während Verfahren, die im Interesse des Stpfl. eingeleitet werden, eher im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens, ggfs. auch nur auf Antrag, eingeleitet werden.[6] Zu einfach ist allerdings die Unterscheidung, die allein darauf abstellt, ob der am Ende des Verfahrens zu erlassende Verwaltungsakt für den Stpfl. begünstigende oder belastende Wirkung hat oder ob das Verfahren antragsgebunden ist. Als Gegenbeispiele seien z. B. die Anordnung einer Außenprüfung nach § 193 AO oder die Festsetzung eines Verspätungszuschlags nach § 152 Abs. 1 AO genannt, bei denen ein Verwaltungsermessen vorgesehen ist, obgleich eine für den Stpfl. belastende Wirkung bezweckt wird. Auf das ökonomische Verhältnis zwischen zu betreibendem Verwaltungsaufwand und hierdurch erzielbarem Steueraufkommen kommt es regelmäßig nur im Rahmen der ermessensabhängigen Verfahren an, wobei die Wirtschaftlichkeit des Verfahrens als Belang in das Ermessen einzustellen ist.

 

Rz. 4

Fragen der Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit des Verfahrens sind allerdings nicht mehr nur ausschließlich Gegenstand des § 156 AO. Mit dem Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens[7] hielt der Wirtschaftlichkeitsgrundsatz auch in den Amtsermittlungsgrundsatz Einzug mit der Folge, dass nunmehr die Verifikation der Erklärungen des Stpfl. nicht unter Ausnutzung aller zur Verfügung stehenden Mittel erfolgen muss, sondern diese im Verhältnis zum steuerlichen Ertrag stehen müssen. Besonders zum Tragen kommt diese Neuerung bei der Frage, ob Kontrollmaterial aus anderen Verwaltungszweigen oder Ländern zwingend auf Übereinstimmung mit der Erklärung des Stpfl. hin untersucht werden muss. Hier sehen § 88 Abs. 3 und 4 AO vor, dass nach abstrakten Kriterien entschieden werden kann, ob ein Abgleich zu erfolgen hat oder nicht. Erforderlich ist allerdings ein Einvernehmen der obersten Finanzbehörde des Bundes und der Länder. Ist die Ermittlung des Sachverhalts allerdings abgeschlossen, kann auf Steuern oder steuerliche Nebenleistungen nur verzichtet werden, wenn ein durch Rechtsverordnung zu bestimmender Betrag[8] unterschritten wird. Auch ein Steuerverzicht aus anderen Gründen kommt nur in Betracht, wenn dies in einer gesetzlichen Ermächtigung ausdrücklich vorgesehen ist, mithin die tatbestandlichen Voraussetzungen vorliegen. Derlei Ermächtigungen ergeben sich zum einen aus den §§ 163, 227 AO (Berücksichtigung von Individualinteressen in Härtefällen), zum anderen aus den Einzelsteuergesetzen.[9] Der Steuerdispens ist somit stets Inhalt von Spezialregelungen. Der Grundsatz ist die Steuerverwirklichung, die nicht im Wege einer allgemeinen Verfahrensvorschrift in das Ermessen der Finanzbehörde gestellt werden kann. § 86 S. 1 AO hat insofern lediglich deklaratorische Bedeutung.[10]

 

Rz. 5

Eine Ausnahme bildet das Haftungsverfahren.[11] Insoweit gilt das Opportunitätsprinzip. In die Entscheidung über die Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners dürfen die Finanzbehörden also auch verfahrensökonomische Gesichtspunkte einfließen lassen und aufgrund dieser von der Durchsetzung materiell-rechtlich bestehender Haftungsansprüche absehen. Kommen mehrere Personen als Haftungschuldner für die Steuerschuld in Betracht, so begegnet es keinen Bedenken, wenn nur einige oder eine Person als Haftungsschuldner herangezogen wird, z. B. weil die bekannte Einkommens- und/oder Vermögenssituation eine schnelle, reibungslose Einziehung verspricht oder die übrigen Personen ihren Wohnsitz im Ausland haben und langwierige und aufwendige Ersuchen das Haftungsverfahren erschweren.

 

Rz. 6

Der Zeitpunkt des Beginns eines Besteuerungsverfahrens steht grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen der Finanzbehörde. Die Steuergesetze sehen hierzu i. d. R. keine abweichenden Bestim...

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