Rz. 83

Der durch die unangemessene Gestaltung entstehende Steuervorteil begründet nach dem Gesetz nur dann einen Missbrauch, wenn er gesetzlich nicht vorgesehen ist. In der Rspr. des BFH zu § 42 AO vor Inkrafttreten des JStG 2008 ist dieses Merkmal in dieser Form nicht aufgetaucht. Die Auffassungen über seine Bedeutung gehen stark auseinander. Während Wienbracke[1] der Ansicht ist, dass die Worte "gesetzlich nicht vorgesehen" bei der Rechtsanwendung beiseite gelassen werden müssten, sieht Wendt[2] in ihnen den Schlüssel für das Verständnis und die Anwendung des neu gefassten § 42 AO.

Nach der in dem Bericht des Finanzausschusses des Bundestages zum JStG 2008 zum Ausdruck gebrachten Vorstellung des Gesetzgebers[3] soll ein Steuervorteil z. B. bei Ausübung gesetzlicher Wahlrechte oder bei Nutzung steuergesetzlicher Lenkungs- und Fördernormen gesetzlich vorgesehen sein. Daran knüpft die Auffassung der Finanzverwaltung an, dass der durch die gewählte Gestaltung begründete Steuervorteil insbesondere dann gesetzlich vorgesehen sei, wenn der Tatbestand einer Norm erfüllt sei, mit der der Gesetzgeber ein bestimmtes Verhalten durch steuerliche Anreize fördern wolle.[4]

 

Rz. 84

Gegen diese Sichtweise spricht aber schon, dass das gesetzliche Vorgesehensein eines Steuervorteils nicht auf den Sozialzweckcharakter einer Norm bezogen oder gar verengt werden kann, wenn der Begriff des Steuervorteils selbst davon unabhängig ist, weil er jede im Vergleich zu einer angemessenen Gestaltung günstigere Steuerfolge umfasst (s. Rz. 81). Hinzu kommt, dass die Möglichkeit des Nichtvorgesehenseins des Steuervorteils bei Sozialzwecknormen allgemein entfallen müsste, wenn deren tatbestandliche Voraussetzungen erfüllt sind. Steuerumgehungen wären nur noch in Gestalt der Tatbestandsvermeidung bei belastenden Vorschriften möglich, während Gestaltungen, die auf die Erlangung von Steuervorteilen aufgrund begünstigender Vorschriften gerichtet sind, von vornherein nicht mehr in den Anwendungsbereich des § 42 AO fallen könnten.

Ob ein Steuervorteil gesetzlich vorgesehen ist oder nicht, kann allein nach dem in Abs. 1 S. 1 zum Ausdruck gebrachten Zweck der Vorschrift beurteilt werden, Steuerumgehungen zu verhindern. Diese sind ihrem Wesen nach auf die Herbeiführung von Rechtsfolgen gerichtet, die zwar dem Wortlaut des Gesetzes, nicht aber dem mit ihm verfolgten Zweck entsprechen. Das Merkmal des Vorgesehen- oder Nichtvorgesehenseins des Steuervorteils ist daher nicht auf den abstrakten gesetzlichen Tatbestand, sondern auf die konkrete Gestaltung zu beziehen, die zu seiner Erfüllung oder Vermeidung gewählt wurde.[5] Damit greift das Merkmal des gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteils einen Gesichtspunkt auf, der in der vom BFH zuletzt verwendeten Standardformel zur Charakterisierung der Unangemessenheit einer von dem Stpfl. gewählten Gestaltung verwendet wird: dass der Stpfl. mit ihr nicht die vom Gesetzgeber vorausgesetzte Gestaltung zum Erreichen eines bestimmten wirtschaftlichen Ziels gebraucht, sondern dafür einen ungewöhnlichen Weg gewählt habe, auf dem das Ziel nach den Wertungen des Gesetzgebers nicht erreichbar sein solle.[6]

 

Rz. 85

Die Anwendung dieser Formel stößt allerdings auf die Schwierigkeit, dass sich der zu beurteilende Steuervorteil häufig aus der Ausnutzung von Systembrüchen und Unabgestimmtheiten des materiellen Steuerrechts ergibt, die vom Gesetzgeber entweder unbewusst oder doch jedenfalls ohne Berücksichtigung des mit der konkreten Gestaltung einhergehenden Steuervorteils herbeigeführt worden sind.[7] Daraus wird in der Literatur zum Teil der Schluss gezogen, dass die Feststellung eines gesetzlich nicht vorgesehenen Vorteils in derartigen Fällen nicht möglich sei, weil sich keine objektiven Anhaltspunkte für den gesetzgeberischen Willen in Bezug auf den zu beurteilenden Steuervorteil finden ließen. Wegen der insoweit die Finanzbehörde treffenden Feststellungslast[8] komme die Annahme eines Gestaltungsmissbrauchs in diesen Fällen nicht in Betracht.[9]

Nach der Gegenansicht soll die Unaufklärbarkeit des gesetzgeberischen Willens stets zur Annahme eines gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteils führen. Gesetzlich vorgesehen sei ein Steuervorteil nur dann, wenn sich feststellen lasse, dass ihn der Gesetzgeber für die gewählte Gestaltung im Sinne einer positiven Wertentscheidung gewollt habe.[10]

 

Rz. 86

U. E. ist keiner dieser beiden extremen Auffassungen zu folgen. Es liegt im Wesen missbrauchsverdächtiger Gestaltungen, dass der Gesetzgeber sie in ihrer konkreten Form nicht vorhergesehen und deshalb auch nicht bedacht hat. Ob ein mit ihnen verbundener Steuervorteil gesetzlich vorgesehen ist oder nicht, ist daher – wie bisher – nach dem objektiven Zweck des Gesetzes zu entscheiden.[11] Dieser Zweck ist dem möglicherweise umgangenen Steuergesetz und den dieses ggf. flankierenden speziellen Missbrauchsregelungen zu entnehmen.[12] Dabei ist zu beachten, dass die Wahl einer Gestaltung mit dem Ziel, den Tatbestand einer belastenden S...

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