Rz. 36

Jedermann kann einen Verdächtigen vorläufig festnehmen, wenn dieser auf frischer Tat betroffen wird und der Flucht verdächtig ist oder seine Identität nicht sofort festgestellt werden kann[1]; in Steuerstrafverfahren dürfte diese Festnahmemöglichkeit nur im Bereich der Vergehen gegen zollrechtliche Vorschriften relevant werden, z. B. beim Schmuggel.[2] Im Bereich der Besitz- und Verkehrsteuern hingegen, bei denen die Hinterziehungshandlung regelmäßig in der Nichtabgabe von Steuererklärungen bzw. dem Einreichen unrichtiger Erklärungen besteht, ist ein "auf frischer Tat Betreffen" selten vorstellbar.

Jedoch können nach § 127 Abs. 2 StPO die Staatsanwaltschaft und die Beamten des Polizeidienstes, also über § 404 AO auch die Steuerfahndung, einen Tatverdächtigen vorläufig festnehmen, wenn die Voraussetzungen für einen Haftbefehl vorliegen und Gefahr im Verzug ist. Letztere liegt vor, wenn die Verzögerung, die zwangsläufig mit dem Antrag auf Haftbefehl und dem Erlass einer solchen Anordnung verbunden ist, die Festnahme gefährden würde. Der so vorläufig Festgenommene muss unverzüglich, spätestens vor Ablauf des Tages nach der Festnahme, dem Ermittlungsrichter des örtlichen Amtsgerichts vorgeführt werden, der dann – auf Antrag der Staatsanwaltschaft – einen Haftbefehl erlassen oder den Betroffenen wieder auf freien Fuß setzen kann.[3] Nach § 114b StPO ist der verhaftete Beschuldigte unverzüglich und grundsätzlich schriftlich in einer für ihn verständlichen Sprache über seine Rechte[4] zu belehren; ihm ist unverzüglich Gelegenheit zu geben, einen Angehörigen oder eine Person seines Vertrauens zu benachrichtigen, sofern der Zweck der Untersuchung dadurch nicht beeinträchtigt wird .[5] § 127a StPO (Haft bei fehlendem festen Wohnsitz) sowie § 127b StPO (sog. Hauptverhandlungshaft) dürften im Steuerstrafverfahren selten zur Anwendung kommen.

 

Rz. 37

Die Fahndung ist nicht berechtigt, einen Antrag auf Erteilung eines richterlichen Haftbefehls zu stellen. Dies ist der Staatsanwaltschaft vorbehalten. Bei Steuerstraftaten kann die Strafsachenstelle des FA ebenfalls einen Antrag auf Erteilung eines Haftbefehls beim Gericht stellen[6], allerdings geht in diesem Fall gem. § 386 Abs. 2 und 3 AO nach Erteilung des beantragten Haftbefehls die Zuständigkeit auf die Staatsanwaltschaft über. Ein Untersuchungshaftbefehl ergeht, wenn der Beschuldigte dringend einer Straftat verdächtig ist und ein Haftgrund besteht. Zudem darf die Inhaftierung nicht gegen den stets zu berücksichtigenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen.[7]

Zuständig für den Erlass des Haftbefehls ist vor Erhebung der öffentlichen Klage der Richter bei dem Amtsgericht, in dessen Bezirk ein Gerichtsstand begründet ist oder der Beschuldigte sich aufhält (§ 125 Abs. 1 StPO). Durch eine etwaige Zuständigkeitskonzentration nach § 74c Abs. 3 GVG wird die vorgenannte Zuständigkeit nicht berührt.[8]

Dringender Tatverdacht liegt dann vor, wenn nach dem jeweiligen Ermittlungsstand eine hohe Wahrscheinlichkeit für ein strafbares Verhalten des Beschuldigten besteht.[9]

 

Rz. 38

Die Haftgründe werden in §§ 112, 112a StPO abschließend aufgezählt. § 112 StPO führt als Haftgründe Flucht, Fluchtgefahr und Verdunkelungsgefahr auf. Ob es daneben in der Praxis noch weitere ungeschriebene und damit ungesetzliche Haftgründe wie z. B. die Haft zum Zweck der Erlangung eines Geständnisses gibt, ist Gegenstand zahlreicher Lit.[10] Welche Bedeutung und welches Ausmaß diese sog. apokryphen Haftgründe haben, ist empirisch weitgehend ungeklärt; Beweisverwertungsverbote folgen daraus jedenfalls nicht.[11]

Der Haftgrund der Flucht[12] besteht dann, wenn der Beschuldigte sich verborgen hält oder aber flüchtig ist, sich also abgesetzt hat, um sich dem Verfahren zu entziehen.[13] Fluchtgefahr[14] ist gegeben, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sich der Beschuldigte dem Verfahren entziehen will.[15]

Verdunkelungsgefahr[16] führt bei Steuerdelikten besonders häufig zur Inhaftierung.[17] Sie liegt vor, wenn das Verhalten des Beschuldigten den dringenden Verdacht begründet, dass auf sachliche oder persönliche Beweismittel eingewirkt wird, z. B. Urkunden vernichtet oder Zeugen unter Druck gesetzt werden. Das Verhalten muss prozessordnungswidrig und unlauter sein; das Besprechen mit Zeugen ist nicht in jedem Fall unlauter.[18] Allein aus der Begehungsweise des dem Beschuldigten vorgeworfenen Delikts kann der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr nicht geschlossen werden. Dies liefe auf eine gesetzliche Vermutung hinaus.[19] Andererseits darf früheres, vor dem Beginn des Ermittlungsverfahrens liegendes Täterverhalten für die Prognose, ob der Beschuldigte Verdunkelungshandlungen vornehmen wird, berücksichtigt werden.[20]

§ 112a StPO (Haftgrund der Wiederholungsgefahr) findet bei Steuerdelikten keine Anwendung, weil § 370 AO nicht zu den in der Vorschrift abschließend genannten Anlasstaten gehört.

 

Rz. 39

Die Dauer der Untersuchungshaft darf nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der zu erwart...

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