Rz. 22

Die Anordnung der Durchsuchung ist grundsätzlich dem Ermittlungsrichter vorbehalten, § 105 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 StPO. Nur bei Gefahr im Verzug genügt die Anordnung der als Staatsanwaltschaft tätigen Bußgeld- und Strafsachenstelle[1] oder des Fahndungsbeamten als Ermittlungsperson der Staatsanwaltschaft .[2] Gefahr im Verzug besteht, wenn eine richterliche Anordnung nicht eingeholt werden kann, ohne dass der Zweck der Maßnahme gefährdet wird[3], insbesondere wenn der Verlust von Beweismitteln droht. Das BVerfG[4] betont das Regel-Ausnahme-Verhältnis des § 105 Abs. 1 StPO und fordert, dass die Annahme von Gefahr im Verzug, die einer unbeschränkten gerichtlichen Kontrolle unterliegt, mit auf den Einzelfall bezogenen Tatsachen begründet und in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit der Durchsuchung in den Ermittlungsakten dokumentiert wird. Für die Verwaltung ergab sich eine Dokumentationspflicht schon bisher aus Nr. 60 Abs. 7 AStBV (2020). Bei der Prüfung des Merkmals "Gefahr im Verzug" handelt es sich nicht um eine Ermessensentscheidung[5], sondern um einen voll nachprüfbaren Rechtsbegriff.[6] Allerdings macht die irrtümliche Annahme, es läge Gefahr im Verzug vor, die Anordnung nicht unwirksam; auch ein Verwertungsverbot tritt nicht ein.[7] Ausnahmen hiervon können sich allenfalls bei absolut willkürlichem und vollkommen fehlerhaftem Vorgehen ergeben.[8] Für die Überprüfung der Art und Weise des Vollzugs einer nach § 105 Abs. 1 S. 1 StPO nichtrichterlich angeordneten abgeschlossenen Durchsuchung kann der Betroffene die richterliche Entscheidung analog § 98 Abs. 2 S. 2 StPO beantragen.[9]

Sobald der Ermittlungsrichter mit einem Antrag auf Anordnung der Durchsuchung befasst ist, kann grundsätzlich nicht mehr von einer Gefahr im Verzug ausgegangen werden. Denn es obliegt allein dem Ermittlungsrichter, ob und zu welchem Zeitpunkt er über einen entsprechenden Antrag entscheidet.[10] Dies gilt auch dann, wenn der mit der Sache betraute Ermittlungsrichter nicht sofort über die beantragte Durchsuchung entscheidet oder zunächst die Vorlage einer Ermittlungslage einfordert. Die Ermittlungsbehörden müssen also vor Beantragung eines Durchsuchungsbeschlusses, sei es schriftlich, sei es telefonisch, prüfen, ob von einer Gefahr im Verzug auszugehen ist mit der Folge, dass eine Durchsuchung ohne richterliche Befassung mit der Sache oder Anordnung der Durchsuchung erfolgt. Dies ist zum Zwecke der gerichtlichen Kontrolle zu dokumentieren. Die Eilkompetenz der Ermittlungsbehörden lebt bei richterlicher Befassung mit der Sache dann wieder auf, wenn sich die Sachlage durch einen neuen Sachverhalt im Wege der überholenden Kausalität ändert.[11]

Wartet die Ermittlungsbehörde die Entscheidung nicht ab und führt sie, ohne Hinzutreten neuerer Erkenntnisse, trotzdem eine Durchsuchung durch, so führt dies zu einem Beweisverwertungsverbot.[12] Die Entscheidung der Ermittlungsbehörden unterliegt der vollen gerichtlichen Kontrolle.

[3] Köhler, in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl. 2020, § 98 StPO Rz. 6.
[4] V. 20.2.2001, 2 BvR 1444/00, wistra 2001, 137.
[5] Köhler, in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl. 2020, § 98 StPO Rz. 7 m. w. N.
[7] Greven, in KK-StPO, 8. Aufl. 2019, § 98 StPO Rz. 13.
[8] BGH v. 25.2.1985, 1 StE 4/85, NStZ 1985, 262; LG Saarbrücken v. 28.4.2003, 8 Qs 70/03, wistra 2004, 34; immer für Verwertungsverbot Ransiek, StV 2002, 565; zeitlich nach und unter Hinweis auf BVerfG v. 20.2.2001, 2 BvR 1444/00, wistra 2001, 137; OLG Koblenz v. 6.6.2002, 1 Ss 93/02, StV 2002, 533; AG Kiel v. 4.6.2002, 35 Ls 593 Js 23491/00, StV 2002, 536; gegen Verwertungsverbot LG Cottbus v. 23.7.2002, 23 Qs 16/02, StV 2002, 535, weil die Durchsuchungsanordnung hypothetisch rechtmäßig hätte erlassen werden können.
[9] BGH v. 7.12.1998, 5 AR (VS) 2/98, wistra 1999, 109; zu den Rechtsmittelmöglichkeiten im Übrigen vgl. Rz. 59ff.

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