Rz. 6
Ein Verstoß gegen die guten Sitten liegt vor, wenn ein Verhalten nach seinem durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck ermittelten Gesamtcharakter gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt.[1] Bei der inhaltlichen Ausfüllung dieser Formel ist ein objektiver Maßstab anzulegen, der sich in erster Linie aus den in der Gesamtrechtsordnung enthaltenen Grundwertungen, etwa den Grundentscheidungen der Verfassung zur Wahrung der Menschenwürde[2], zur Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit[3] sowie zum Schutz von Ehe und Familie[4], ergibt.[5] Ein Verstoß gegen die guten Sinne kann danach insbesondere bei der Kommerzialisierung von Vorgängen und/oder Verhaltensweisen vorliegen, die in einer vom Sittengesetz geprägten Rechtsordnung nicht von einer vermögenswerten Gegenleistung abhängig sein dürfen.[6] Besondere Bedeutung hat dies von jeher für die rechtliche Beurteilung der geschlechtlichen Hingabe gegen Geld gehabt. Nach § 1 Satz 1 des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten (ProstG) v. 20.12.2001[7] begründen Verträge über die Vornahme sexueller Handlungen gegen ein vorher vereinbartes Entgelt nunmehr allerdings eine rechtswirksame Forderung. Das Gleiche gilt, wenn sich eine Person, insbesondere im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses, für die Erbringung derartiger Handlungen gegen ein vorher vereinbartes Entgelt für eine bestimmte Zeitdauer bereithält.[8] § 1 ProstG ist somit eine Ausnahmevorschrift zu § 138 Abs. 1 BGB.[9] Ob damit eine generelle sittliche Neubewertung der Prostitution verbunden ist, ist allerdings umstritten.[10] Einen gesetzlich geregelten Spezialfall der Sittenwidrigkeit stellt der Wucher[11] dar.
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