Rz. 10

Die Aussetzung des Strafverfahrens nach § 396 AO setzt voraus, dass "die Beurteilung der Tat als Steuerhinterziehung (s. Rz. 6f.) davon abhängt",

  • ob ein Steueranspruch besteht.

    Diese nach den Vorschriften des Steuerrechts zu treffende Entscheidung ist lediglich eine Vorfrage für die Entscheidung über das Vorliegen einer Steuerverkürzung.[1]

  • ob Steuern verkürzt worden sind.

    Steuern sind nach § 370 Abs. 4 S. 1 AO verkürzt, wenn der materiell bestehende Steueranspruch im Besteuerungsverfahren[2] nicht, nicht rechtzeitig oder nicht in voller Höhe festgesetzt worden ist.[3] Im Hinblick auf das Kompensationsverbot des § 370 Abs. 4 S. 3 AO kann allerdings eine Steuerverkürzung auch dann vorliegen, wenn der Steueranspruch infolge steuerlich zu berücksichtigender Umstände nicht oder in anderer Höhe besteht bzw. festgesetzt wird. Unter diesem Gesichtspunkt kann die besondere Erwähnung dieses Tatbestandsmerkmals des § 370 Abs. 1 AO nur bedeuten, dass die Aussetzung nach § 396 AO auch dann zulässig sein soll, wenn zum Bestehen des Anspruchs nur in den Gründen der steuerlichen Entscheidung Stellung genommen wird.

  • ob Steuervorteile ungerechtfertigt erlangt worden sind.

    Dies ist der Fall, wenn eine Rechtsgrundlage für den erlangten Vorteil[4] nicht gegeben ist.

 

Rz. 11

Die strafrechtliche Beurteilung, d. h. die Frage, ob eine Ahndung erfolgen muss oder das Verfahren einzustellen bzw. der Angeklagte freizusprechen ist, muss allein durch diese steuerrechtlichen Vorfragen bedingt sein.[5] Auf andere steuerliche Vorfragen kann die Verfahrensaussetzung nach § 396 AO nicht gestützt werden.[6]

Mit Ausnahme dieser zum objektiven Tatbestand des § 370 Abs. 1 AO gehörenden Frage rechtfertigen alle sonstigen strafrechtlichen oder strafprozessualen Sach- und Rechtsfragen die Aussetzung nicht, z. B. die Frage des Verschuldens.[7] Alle übrigen Tatbestandsmerkmale müssen nach Ansicht des Strafverfolgungsorgans erfüllt sein. Insoweit sind die Ermittlungsbehörden bzw. die Strafgerichte verpflichtet, eine eigene Entscheidung zu treffen. Insbesondere kommt eine Aussetzung wegen Beweisschwierigkeiten, Arbeitsüberlastung, prozessökonomischen Überlegungen oder Zweckmäßigkeitsgründen nicht in Betracht.[8]

 

Rz. 12

Die Aussetzung nach § 396 AO ist nur zulässig, wenn die steuerrechtliche Vorfrage dem Grunde nach zweifelhaft ist. Zweifel hinsichtlich der Höhe der Steuerverkürzung oder des ungerechtfertigt erlangten Vorteils rechtfertigen die Aussetzung nicht.[9] Die für die Strafbemessung bedeutsame Höhe des Taterfolgs ist schon im Hinblick auf § 370 Abs. 4 S. 3 AO nicht notwendig mit dem steuerlichen Mehrergebnis identisch. Insbesondere in Schätzungsfällen werden hier i. d. R. unterschiedliche Ergebnisse festzustellen sein, denn im Strafverfahren dürfen die Beweisgrundsätze des Steuerrechts nicht angewandt werden. Hier haben vielmehr die Ermittlungsbehörden und Strafgerichte vornehmlich unter dem Gesichtspunkt des Grundsatzes "in dubio pro reo" eine selbstständige Feststellung des Taterfolgs zu treffen.[10]

 

Rz. 13

Eine Aussetzung des Steuerstrafverfahrens kommt demgemäß auch nicht in Betracht, wenn tateinheitlich[11] verschiedene Steuern verkürzt worden sind und nur hinsichtlich einer dieser Steuern die Vorfrage zweifelhaft ist.[12] Hier hängt die Beurteilung nicht von der Vorfrage ab, da nach § 52 Abs. 1 StGB ohnehin nur eine Strafe verhängt wird.[13]

Ist hinsichtlich mehrerer Steuerhinterziehungen Tatmehrheit[14] gegeben, so kommt eine Aussetzung nur für die Tat in Betracht, auf die sich die Vorfrage bezieht.[15] Das Verfahren hinsichtlich der anderen Taten ist fortzuführen, erforderlichenfalls muss nachträglich eine Gesamtstrafe gebildet werden.[16] Wird das Verfahren hinsichtlich der anderen Straftaten ausgesetzt, so ist dies nur nach den allgemeinen strafprozessualen Bestimmungen (s. Rz. 3) und ohne Ruhen der Strafverfolgungsverjährung möglich (s. Rz. 26).

 

Rz. 14

Die strafrechtliche Beurteilung muss von der steuerrechtlichen Vorfrage abhängig sein, d. h. die Aussetzungsentscheidung darf erst ergehen, wenn die Ermittlungen bis auf diese Frage abgeschlossen sind.[17] Tatsächliche Fragen bzw. Beweisschwierigkeiten rechtfertigen die Aussetzung nach § 396 AO in keinem Fall.[18]

 

Rz. 15

Die steuerliche Vorfrage muss aus der Sicht der Ermittlungsbehörden oder des Strafgerichts rechtlich zweifelhaft sein, d. h. in Lit. und Rspr. müssen zur Auslegung der einschlägigen Steuerrechtsnormen unterschiedliche Auffassungen vertreten werden. Die Anfechtung der finanzbehördlichen Entscheidung durch den Beschuldigten im Einspruchs- bzw. Klageverfahren, selbst eine Aussetzung der Vollziehung der Steuerfestsetzungen nach § 361 AO bzw. § 69 FGO oder eine Verfassungsbeschwerde sind allein noch kein Grund für die Aussetzung des Strafverfahrens.[19] Ebenso ist eine von einer durch Lit. und Rspr. gesicherten Rechtsauffassung abweichende Rechtsmeinung des Beschuldigten nicht für eine Verfahrensaussetzung ausreichend.[20]

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