1 Grundlagen

1.1 Anwendungsbereich der Vorschrift

 

Rz. 1

§ 395 AO findet nur Anwendung für die Finanzbehörde i. S. v. § 386 Abs. 1 AO, die in ihrer Funktion als Strafverfolgungsorgan[1] tätig wird.[2] Für die im Besteuerungsverfahren tätigen übrigen Finanzbehörden i. S. v. § 6 AO und für die Steuer- bzw. Zollfahndung[3] gilt die Regelung nicht.[4] § 395 AO lässt andere gesetzliche Akteneinsichtsrechte unberührt.

 

Rz. 2

Die Vorschrift gilt im gesamten Steuerstrafverfahren.[5] Sie erlangt aber nur Bedeutung, wenn die im Steuerstrafverfahren tätige Finanzbehörde (s. Rz. 1) dieses nicht nach §§ 386 Abs. 2, 399 AO selbstständig durchführt, also im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren oder im gerichtlichen Verfahren tätig wird[6] und sie demgemäß nicht die Akten führende Behörde ist.

 

Rz. 2a

Im Bußgeldverfahren wegen Steuerordnungswidrigkeiten ergibt sich das finanzbehördliche Akteneinsichtsrecht aus § 49 OWiG, da § 410 Abs. 1 AO nicht auf § 395 AO verweist.[7]

[4] S. Rz. 3a; Brandenstein/Tsambikakis, in Flore/Tsambikakis, Steuerstrafrecht, 2. Aufl. 2016, § 395 AO Rz. 3.
[7] Ausf. Brandenstein/Tsambikakis, in Flore/Tsambikakis, Steuerstrafrecht, 2. Aufl. 2016, § 395 AO Rz. 35–41; s. a. Schaefer, in BeckOK AO, § 395 AO Rz. 3.

1.2 Zweck der Vorschrift

 

Rz. 3

§ 395 AO dient – entsprechend dem Akteneinsichtsrecht des Verteidigers[1] – primär der Sicherung der finanzbehördlichen Rechtsstellung im Steuerstrafverfahren, damit die Finanzbehörde ihre Mitwirkungsrechte und Mitwirkungspflichten erfüllen kann.[2] Im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren und im gerichtlichen Verfahren (s. Rz. 2) ergeben sich die finanzbehördlichen Mitwirkungsrechte aus §§ 402, 403, 406, 407 AO. Durch das Akteneinsichtsrecht kann sich die Finanzbehörde über die Ermittlungsergebnisse und den Stand des Verfahrens informieren (s. Rz. 6). Das Besichtigungsrecht eröffnet ihr die Mitwirkung im Einziehungsverfahren nach § 401 AO (s. Rz. 5).

Die Finanzbehörde ist nicht verpflichtet, das Einsichts- und Besichtigungsrecht (s. Rz. 4) geltend zu machen. Es liegt in ihrem Ermessen, wie sie ihre Rechtsstellung ausübt.[3]

 

Rz. 3a

Das durch § 395 AO eingeräumte Akteneinsichts- und Besichtigungsrecht dient nur mittelbar steuerlichen Zwecken.[4] Die im Besteuerungsverfahren tätigen Finanzbehörden i. S. v. § 6 AO können nicht über § 395 AO die der Staatsanwaltschaft bzw. den Strafgerichten als Beweismittel dienenden Akten einsehen oder Gegenstände besichtigen (s. Rz. 1). Ihr Akteneinsichtsrecht, das sich aus den allgemeinen verfahrensrechtlichen Beweisvorschriften der AO ergibt, können sie unmittelbar nur im Wege der Amtshilfe nach § 111 Abs. 1 AO geltend machen.

[2] Brandenstein/Tsambikakis, in Flore/Tsambikakis, Steuerstrafrecht, 2. Aufl. 2016, § 395 AO Rz. 1.
[4] So auch Brandenstein/Tsambikakis, in Flore/Tsambikakis, Steuerstrafrecht, 2. Aufl. 2016, § 395 AO Rz. 12; Hilgers-Klautzsch, in Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 395 AO Rz. 5; a. A. z. B. Nr. 92 Abs. 3 AStBV (St) 2022, BStBl I 2022, 251ff.; Gehm, NZWiSt 2014, 200; Randt, in Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 9. Aufl. 2023, § 395 AO Rz. 2: § 395 AO dient strafrechtlichen und steuerlichen Zwecken.

1.3 Rechtsanspruch der Finanzbehörde

 

Rz. 4

§ 395 S. 1 AO gibt der Finanzbehörde einen Rechtsanspruch auf Akteneinsicht bzw. Besichtigung. Die Gewährung liegt nicht im Ermessen der Staatsanwaltschaft bzw. des Strafgerichts.[1] Die Einschränkungen des § 147 Abs. 2 StPO gelten nicht gegenüber der Finanzbehörde, die als Strafverfolgungsorgan handelt (s. Rz. 1).

[1] Randt, in Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 9. Aufl. 2023, § 395 AO Rz. 6; Brandenstein/Tsambikakis, in Flore/Tsambikakis, Steuerstrafrecht, 2. Aufl. 2016, § 395 AO Rz. 17; zur Ausübung s. Rz. 8f.

2 Inhalt der finanzbehördlichen Rechte

2.1 Besichtigungsrecht

 

Rz. 5

Die Finanzbehörde ist nach § 395 S. 1 AO befugt, als Beweismittel beschlagnahmte oder sonst sichergestellte Gegenstände[1] zu besichtigen, um ggf. im Einziehungsverfahren[2] tätig werden zu können. Selbstverständlich ist insoweit das Recht, Proben oder Analysen zu nehmen und zu fertigen, wenn dies für das Strafverfahren von Bedeutung sein kann.[3]

[3] Randt, in Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 9. Aufl. 2023, § 395 AO Rz. 12.

2.2 Akteneinsichtsrecht

 

Rz. 6

Das Akteneinsichtsrecht der Finanzbehörde entspricht inhaltlich dem Akteneinsichtsrecht des Verteidigers[1] nach § 147 Abs. 1 StPO, wobei allerdings die Einschränkungen des § 147 Abs. 2 StPO nicht gelten (s. Rz. 4). Es entsteht mit der Begründung der finanzbehördlichen Rechtsstellung (s. Rz. 1) und endet mit dem rechtskräftigen Abschluss des...

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