Rz. 45

Die Abgrenzung zwischen Steuerhinterziehung und -hehlerei ist nicht immer einfach. Werden z. B. Zigaretten illegal nach Deutschland eingeführt, hängt es von der Ausgestaltung des Transportwegs, dem Tatbeitrag des einzelnen Täters und dessen Kenntnis bzw. Vorstellung um die objektiven Gegebenheiten ab, welche der in Betracht kommenden Steuerstraftatbestände (Schmuggel nach § 373 AO, Steuerhehlerei nach § 374 AO, Steuerhinterziehung nach § 370 AO oder Teilnahme an diesen) verwirklicht werden.[1]

Anstiftungshandlungen, die auf eine Verbringung von mit Verbrauchsteuern belasteten Waren gerichtet sind, an denen der Täter eine Steuerhehlerei begeht, sind regelmäßig nicht als Anstiftung zur Steuerhinterziehung strafbar; im Verhältnis zur Steuerhehlerei stellt sich die Anstiftung zur Steuerhinterziehung als mitbestrafte Vortat dar.[2]

[1] Leplow, PStR 2008, 63ff.

6.2.1 Sichverschaffen oder Ankaufen von unversteuerten Waren (i. d. R. Zigaretten) im europäischen Ausland / Absatzhilfe im europäischen Ausland

 

Rz. 46

Bereits mit dem Sichverschaffen bzw. Ankaufen von Zigaretten im europäischen Ausland, bei deren Einfuhr in das Zollgebiet der Europäischen Union Einfuhrabgaben hinterzogen wurden, wird der Tatbestand der Steuerhehlerei erfüllt (vgl. auch Rz. 35–39 zum Versuchsbeginn). Der Tatbestand der Steuerhinterziehung durch Unterlassen nach § 370 Abs. 1 S. 2 AO ist hingegen erst erfüllt, wenn der Verbringer von Tabakwaren ohne Steuerzeichen nicht unverzüglich nach § 23 Abs. 1 TabStG eine Steuererklärung abgibt, nicht schon mit Ankauf der geschmuggelten Zigaretten im Ausland.[1]

Doch ist der Steuerhehler, der sich unversteuerte und unverzollte Zigaretten bereits im europäischen Ausland verschafft hat, aufgrund des Nemo-tenetur-Grundsatzes[2] von der Erklärungspflicht nach § 23 Abs. 1 S. 3 TabStG suspendiert, sodass unter diesem Aspekt die Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung wegfällt.[3]

Leistet z. B. der Verbringer Absatzhilfe, indem er die Ware (z. B. Zigaretten ohne deutsche Steuerzeichen) aus einem Mitgliedstaat der EU nach Deutschland überführt, so erfüllt er durch eine Handlung § 374 AO und § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO (z. B. hinsichtlich der Tabaksteuer). Auch hier stehen beide Taten in Tatmehrheit gem. § 53 StGB zueinander[4], denn die Gleichzeitigkeit zweier Handlungen reicht für sich allein zur Annahme einer Handlungseinheit nicht aus. Vielmehr wäre erforderlich, dass die verletzende Ausführungshandlung in einem für sämtliche Tatbestandsverwirklichungen notwendigen Teil zumindest teilweise identisch ist.[5] Eine solche Teilidentität ist indes beim zeitlichen Zusammentreffen von positivem Tun und Unterlassen i. d. R. nicht gegeben, wenn es sich bei der Unterlassungstat – wie bei der Steuerhinterziehung – um ein echtes Unterlassungsdelikt handelt.[6] Die vorgenommene Handlung (z. B. Absatzhilfe) ist nicht Teil der unterlassenen Handlung, sondern etwas gänzlich anderes und bezieht sich auf andere Abgaben.[7] Auch in dieser Fallkonstellation, in der Handlung und Unterlassung derart dicht beieinander liegen, wäre der Rechtsprechung des BGH entsprechend damit der Nemo-tenetur-Grundsatz anzuwenden.[8]

[1] BGH v. 28.8.2008, 1 StR 443/08, wistra 2008, 470 mit Anm. Bender, wistra 2009, 176.
[2] D. h., dass niemand verpflichtet ist, sich selbst anzuklagen oder gegen sich selbst Zeugnis abzulegen; ein Beschuldigter ist grundsätzlich nicht verpflichtet, aktiv zur Sachaufklärung beizutragen; ausführlich dazu Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl. 2020, Einl. Rz. 29a.
[3] BGH v. 11.2.2020, 1 StR 438/19, BeckRS 2020, 8061; BGH v. 23.5.2019, 1 StR 127/19, wistra 2019, 509 mit Anm. Gehm; Klein/Jäger, AO, 15. Aufl. 2020, § 374 Rz. 55f.; Hauer, in BeckOK AO § 374 AO Rz. 122; anders noch BGH v. 28.8.2008, 1 StR 443/08, wistra 2008, 470 (Tatmehrheit); BGH v. 20.1.2016, 1 StR 530/15, wistra 2016, 194; Joecks, in Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Aufl. 2015, § 370 AO Rz. 729; Weidemann, wistra 2012, 49, 56; BGH v. 9.6.2011, 1 StR 21/11, wistra 2011, 348.
[4] BGH v. 31.8.1962, 4 StR 257/62, BGHSt 18, 29, 32 m. w. N.; BGH v. 1.10.1997, 2 StR 520/96, BGHSt 43, 252, 261; Weidemann, wistra 2012, 49, 56.
[5] BGH v. 21.3.1985, 1 StR 583/84, BGHSt 33, 163, 165 m. w. N.
[6] BGH v. 15.6.1954, 4 StR 310/54, BGHSt 6, 229, 230.
[7] BGH v. 20.1.2016, 1 StR 530/15, wistra 2016, 194; Joecks, in Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Aufl. 2015, § 370 AO Rz. 729.

6.2.2 Sichverschaffen oder Ankaufen von unversteuerten Zigaretten, die aus einem Drittland über einen Mitgliedstaat nach Deutschland kommen, im Inland

 

Rz. 47

In der Fallkonstellation, in der Waren (oft Zigaretten) aus einem Drittland über einen EU-Mitgliedstaat nach Deutschland gelangen und sich der Täter die Waren erst in Deutschland verschafft, ist Zoll, Einfuhrumsatzsteuer und vorhandene Verbrauchsteuer, i. d. R. T...

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