Rz. 43

Durch die Feststellung, dass ein Verhalten den Tatbestand eines Strafgesetzes erfüllt und rechtswidrig ist, ergibt sich das objektive Unwerturteil der Rechtsordnung über die Tat. Dies allein reicht jedoch für die Ahndung einer Tat im deutschen Strafrecht nicht aus, da der Grundsatz "Keine Strafe ohne Schuld" (nulla poena sine culpa) zu beachten ist. Dieses sog. Schuldprinzip findet seine verfassungsrechtliche Grundlage sowohl in der Würde und Eigenverantwortlichkeit des Menschen[1] als auch im Rechtsstaatsprinzip.[2] Notwendige Voraussetzung für die Ahndung ist danach ein "Dafürkönnen" des Täters, dem vorgeworfen wird, dass er sich auf die Seite des Unrechts gestellt und insoweit gegen das Recht entschieden hat, obwohl er sich den Anforderungen der Rechtsordnung entsprechend hätte verhalten können. Es muss also die persönliche Verantwortung, d. h. die Schuld des Tatbeteiligten, festgestellt werden, um ihm sein Verhalten persönlich zurechnen zu können. Das Maß der persönlichen Schuld ist Grundlage der Strafzumessung (s. Rz. 161ff.).

 

Rz. 44

Nach dem von der Rspr. und der h. M. vertretenen normativen Schuldbegriff[3] kommt der umfangreich diskutierten Frage, ob der Mensch in seinem Handeln determiniert ist, insoweit keine Bedeutung zu. Der normative (= wertende) Schuldbegriff stellt maßgeblich darauf ab, dass wir uns im Normalfall als frei handelnde Menschen erleben, einvernehmlich unsere gesellschaftlichen Strukturen und unser gesellschaftliches Zusammenleben daran ausrichten und folglich auch daran anknüpfende gesellschaftliche Sanktionen als legitime Reaktionen empfinden.

 

Rz. 45

Die Schuldfeststellung setzt nach dem normativen Schuldbegriff voraus:

  • Die Schuldfähigkeit des Tatbeteiligten (s. Rz. 46),
  • das Unrechtsbewusstsein (s. Rz. 47) sowie
  • das Nichtvorliegen eines gesetzlichen Entschuldigungsgrunds (s. Rz. 48).

Allgemein lässt sich aber feststellen, dass der Schuldvorwurf bei der Prüfung der Strafbarkeit eines Verhaltens keiner positiven Begründung bedarf. Vielmehr ergeben sich aus den Strafgesetzen lediglich die Bedingungen, unter denen die Verwirklichung des Unrechts nicht als schuldhaft anzusehen ist. Die Strafgesetze treffen somit keine Regelung, was strafrechtliche relevante Schuld ist, sondern regeln nur, wann kein schuldhaftes Handeln gegeben ist. Der Schuld kommt in steuerstrafrechtlichen Verfahren i. d. R. eine ausgesprochen geringe Bedeutung zu.[4]

[3] Fischer, StGB, 67. Aufl. 2020, Vor § 13 StGB Rz. 47a m. w. N.
[4] Vgl. zu einer Ausnahme: BGH v. 7.2.2019, 1 StR 485/18, wistra 2019, 465, in dem der BGH aufgrund Legasthenie, Einschränkungen der Merkfähigkeit sowie einer Intelligenzminderung von mittlerer bis schwerer Ausprägung in der Person des Täters darauf hinweist, dass sowohl das Merkmal des Schwachsinns als auch dasjenige der krankhaften seelischen Störung i. S. d. § 20 StGB erfüllt sein und deshalb eine erhebliche Beeinträchtigung der Einsichtsfähigkeit des Angeklagten nicht ausgeschlossen werden könne.

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