3.2.1.1.1 Wichtiger Grund

 

Rz. 30

Die Anordnung des Ruhens des Einspruchsverfahrens durch die Finanzbehörde setzt nach § 363 Abs. 2 S. 1 AO einen wichtigen Grund voraus. Dies ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der der vollen gerichtlichen Nachprüfung unterliegt.

Wichtige Gründe sind z. B.:

  • anhängige Musterprozesse,
  • Verfassungsbeschwerden,
  • Normenkontrollklagen,
  • die Durchführung einer Außenprüfung zur Ermittlung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalts[1],
  • die gleichartige Gewinnermittlung für Zwecke der Festsetzung des GewSt-Messbetrags und der ESt.[2]

Das Interesse des Stpfl., den Steuerfall offenzuhalten, um an späteren Gesetzes- oder Rechtsprechungsänderungen teilzunehmen, ist kein wichtiger Grund in diesem Sinn.[3]

3.2.1.1.2 Zweckmäßigkeit

 

Rz. 31

Die Anordnung des Ruhens muss der Finanzbehörde zweckmäßig erscheinen. Zweckmäßig ist das Ruhen, wenn dadurch für die Finanzbehörde ihrer Meinung nach unnötiger Verwaltungsaufwand [1] widersprüchliche Entscheidungen oder spätere Korrekturen der Entscheidung vermieden werden.[2] Die Anordnung des Ruhens setzt damit die Zulässigkeit des anhängigen Einspruchsverfahrens voraus[3], da in diesem Fall eine andere Sachentscheidung nicht in Betracht kommt. Auch das Ruhen eines offensichtlich unbegründeten Einspruchs ist nicht zweckmäßig.[4]

 

Rz. 31a

Die Anordnung des Ruhens ist nach dem Wortlaut des Gesetzes in das pflichtgemäße Ermessen der Finanzbehörde gestellt und unterliegt nur eingeschränkt der finanzgerichtlichen Kontrolle nach § 102 FGO. Diese Gestaltungsfreiheit der Finanzbehörde hinsichtlich des Verfahrensablaufs kann grundsätzlich nicht durch das FG eingeschränkt werden. Der Beteiligte kann zwar das Ruhen des Verfahrens anregen und beantragen, er hat jedoch keinen Rechtsanspruch auf die Anordnung des Ruhens nach § 363 Abs. 2 S. 1 AO.[5] Wird die Anordnung des Ruhens des Einspruchsverfahrens ermessensfehlerhaft verweigert, so können der Finanzbehörde die Kosten eines in der Hauptsache für erledigt erklärten Klageverfahrens gemäß § 138 Abs. 1 i. V. m. § 137 S. 2 FGO auferlegt werden.[6]

[1] BGH v. 23.3.2006, IX ZR 140/03, BFH/NV Beilage 2006, 510; auch Koenig/Cöster, AO, 3. Aufl. 2014, § 363 Rz. 3.
[2] Brandis, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 363 AO Rz. 7.
[4] Brandis, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 363 AO Rz. 7.
[5] FG des Saarlandes v. 3.4.1981, II 550/80, EFG 1981, 431; FG München v. 12.12.2002, 15 K 4395/00, Haufe-Index 892911.

3.2.1.1.3 Zustimmung

 

Rz. 32

Die Zustimmung des Einspruchsführers ist Voraussetzung für die Anordnung des Ruhens. Das Ruhen des Verfahrens ist grds. nur bei Einvernehmlichkeit zwischen der Finanzbehörde und allen Einspruchsführern zulässig.[1] Zum Einspruchsverfahren nach § 360 AO Hinzugezogene haben hier nach dem Wortlaut des Gesetzes keinen Einfluss auf das Verfahren.[2]

 

Rz. 32a

Die Zustimmung ist eine verfahrensrechtliche Willenserklärung des Beteiligten, die aus Sicherheitsgründen schriftlich oder elektronisch erfolgen sollte.[3] Sie ist für die Zukunft jederzeit widerrufbar.[4] Der Widerruf der Zustimmung muss eindeutig erklärt werden.[5] So wie der Beteiligte keinen Anspruch auf das Ruhen des Einspruchsverfahrens hat, hat umgekehrt die Finanzbehörde keinen Anspruch auf Zustimmung oder auf deren Fortbestand, auch wenn die Nichterteilung oder der Widerruf als missbräuchlich erscheint.[6]

[1] FG des Saarlandes v. 3.4.1981, II 550/80, EFG 1981, 431.
[2] Brandis, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 363 AO Rz. 8.
[4] Brandis, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 363 AO Rz. 8.
[5] FG Köln v. 28.2.1985, VIII K 322/84, EFG 1985, 570.
[6] Brandis, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 363 AO Rz. 8.

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