Rz. 14

Die Einspruchsentscheidung muss ganz oder zum Teil von der im anhängigen Verfahren zutreffenden Regelung abhängig sein. Teilweise wird dann von einem "vorgreiflichen Verfahren" oder einer "vorgreiflichen Entscheidung" gesprochen.[1]

 

Rz. 14a

Abhängigkeit ist stets gegeben, wenn die Finanzbehörde an die Entscheidung in dem anderen Verfahren rechtlich gebunden ist. Abhängigkeit i. d. S. erfordert aber keine rechtliche Bindung, sondern es genügt, dass sie sich möglicherweise inhaltlich rechtlich auf die Sachentscheidung im Einspruchsverfahren auswirken kann.[2] Ausreichend wäre insoweit ein höherer Beweiswert für den Beteiligtenvortrag durch die Nutzbarmachung des Ergebnisses der Beweisaufnahme durch das Gericht oder die andere Verwaltungsbehörde. Die verfahrensökonomische Vermeidung der Beweisaufnahme bzw. deren Wiederholung rechtfertigt allein aber nicht die Aussetzung.

 

Rz. 14b

Eine Aussetzung des Einspruchsverfahrens gegen einen Folgebescheid, in dem Einwendungen gegen den angefochtenen Grundlagenbescheid erhoben werden, soll nach der Rspr. "regelmäßig geboten und zweckmäßig" sein, solange noch unklar ist, ob und wie der Grundlagenbescheid geändert wird.[3] Eine Fortführung des Verfahrens ist jedoch z. B. dann ermessensgerecht, wenn das Vorbringen des Einspruchsführers den Folgebescheid als solchen betrifft und im Verfahren über diesen Bescheid entscheidungserheblich ist. Von Bedeutung ist dabei, dass unbeschadet einer Entscheidung über den Folgebescheid dieser bei einer nachfolgenden Aufhebung oder Änderung des Grundlagenbescheids gem. § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern ist, ohne dass es einer weiteren gerichtlichen Entscheidung bedarf.[4]

 

Rz. 14c

Die Frage, ob es sich bei einem Strafverfahren, das den im Einspruchsverfahren streitigen Steueranspruch betrifft, um ein für das Einspruchsverfahren vorgreifliches Verfahren handelt, wird in der Literatur uneinheitlich beantwortet. Auch die Rechtsprechung des BFH zu der gleichgelagerten Problematik in § 74 FGO ist widersprüchlich.[5] Klar ist, dass hinsichtlich der Feststellungen des Strafgerichts keine Bindungswirkung für das Besteuerungsverfahren besteht. Vielmehr hat die Finanzbehörde die erforderlichen strafrechtlichen Aspekte, etwa den Tatbestand der Steuerhinterziehung als Voraussetzung einer auf zehn Jahre verlängerten Festsetzungsfrist in § 169 Abs. 2 S. 2 AO oder einer Haftung nach § 71 AO, in eigener Zuständigkeit nach den Verfahrensvorschriften der AO zu prüfen.[6]

Andererseits können sich die Steuerbehörden und Steuergerichte die tatsächlichen Feststellungen, Beweiswürdigungen und rechtlichen Beurteilungen des Strafgerichts zu eigen machen, wenn dieses bereits über die Frage der Steuerhinterziehung entschieden hat, substanziierte Einwendungen gegen diese Feststellungen nicht erhoben werden und kein anderweitiger Grund besteht, gleichwohl eine weitere Aufklärung vorzunehmen.[7] Weitgehende Einigkeit besteht auch darüber, dass die Aussetzung eines Einspruchsverfahrens im Hinblick auf ein anhängiges Steuerstrafverfahren jedenfalls ermessenswidrig wäre, wenn es nur darum geht, tatsächliche Ermittlungen des Strafgerichts abzuwarten und sich dadurch eigene Ermittlungen zu ersparen. Denn die Finanzbehörde ist für die Klärung schwieriger steuerrechtlicher Fragen kompetenter ist als das Strafgericht.[8]

In allen anderen Fällen spricht der durch § 363 Abs. 1 AO verfolgte Zweck der Verfahrensökonomie jedoch dafür, die Aussetzung des Einspruchsverfahrens wegen eines laufenden Strafverfahrens im Einzelfall in das Ermessen der Finanzbehörde zu stellen.[9] Dabei sind der Fortschritt des jeweiligen Verfahrens, die Interessen der Beteiligten und – darauf weist Birkenfeld [10] zutreffend hin – die Gefahr widersprechender Entscheidungen abzuwägen.

Eine Aussetzung ist jedenfalls dann naheliegend, wenn ein (außersteuerlicher) Straftatbestand Tatbestandsmerkmal eines Steuergesetzes ist, wie z. B. in § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 10 EStG, wonach die Zuwendung von Vorteilen sowie damit zusammenhängender Aufwendungen den Gewinn nicht mindern dürfen, wenn die Zuwendung der Vorteile eine rechtswidrige Handlung darstellt, die den Tatbestand eines Strafgesetzes oder eines Gesetzes verwirklicht, das die Ahndung mit einer Geldbuße zulässt.

[1] BFH v. 23.1.2013, X R 32/08, BFH/NV 2013, 997, BStBl II 2013, 423; Koenig/Cöster, AO, 3. Aufl. 2014, § 363 Rz. 12; Birkenfeld, in HHSp, AO/FGO, § 363 AO Rz. 93.
[2] BFH v. 18.9.2012, VIII R 9/09, BFH/NV 2013, 278, BStBl II 2013, 149; BFH v. 16.12.1987, I R 350/83, BStBl II 1988, 600; BFH v. 18.7.1990, I R 12/90, BFHE 161, 409; BFH v. 7.7.1995, III B 8/95, BFH/NV 1996, 149; Birkenfeld, in HHSp, AO/FGO, § 363 AO Rz. 84; Klein/Rätke, AO, 14. Aufl. 2018, § 363 Rz. 4; BGH v. 23.3.2006, IX ZR 140/03, BFH/NV Beilage 2006, 510, für die fehlende Abhängigkeit zwischen der Gewinnermittlung für den GewSt-Messbetrag und der ESt.

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