Rz. 7

Die Aussetzung der Entscheidung über den Einspruch setzt ferner voraus, dass die der Einspruchsentscheidung vorgreifende Entscheidung über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses befindet. Rechtsverhältnisse i. d. S. sind die aus einem konkreten Sachverhalt resultierenden Rechtsbeziehungen zwischen verschiedenen Rechtssubjekten oder zwischen Rechtssubjekten und Rechtsobjekten.

 

Rz. 7a

Für die Aussetzung nach § 363 Abs. 1 AO ist es ohne Bedeutung, ob die Rechtsverhältnisse öffentlich-rechtlichen, z. B. steuerrechtlichen, oder privatrechtlichen Rechtscharakter haben.[1] Der Begriff des Rechtsverhältnisses ist weit auszulegen.[2]

 

Rz. 7b

Es ist auch nicht erforderlich, dass das Rechtsverhältnis zwischen der Finanzbehörde und dem Beteiligten besteht.[3] Das Rechtsverhältnis muss nur Einfluss auf die Sachentscheidung haben.

 

Rz. 8

Kein Rechtsverhältnis i. d. S. ist eine Rechtsfrage[4], z. B. ob eine Rechtsnorm anwendbar ist. Über diese Rechtsfrage ist gerade im anhängigen Einspruchsverfahren zu entscheiden, sodass eine Aussetzung i. S. v. § 363 Abs. 1 AO zumindest zweckwidrig wäre.[5] Auch die Verfassungsmäßigkeit einer Rechtsnorm ist eine solche Rechtsfrage, die die Verfahrensaussetzung auch bei einem anhängigen Normenkontrollverfahren nicht zulässt.[6]

 

Rz. 9

Kein Rechtsverhältnis liegt vor, wenn ein Musterprozess anhängig ist.[7] In solchen Fällen kommt nur ein Ruhen des Verfahrens in Betracht.[8]

Rz. 10 einstweilen frei

 

Rz. 10a

Auch die Frage, ob eine Steuerhinterziehung vorliegt, wenn die Geltendmachung des im Einspruchsverfahren streitigen Steueranspruchs hiervon abhängt, z. B. bei der Haftung nach § 71 AO, ist kein vorgreifliches Rechtsverhältnis, sondern eine Rechtsfrage (s. Rz. 8). Über dieses Tatbestandsmerkmal haben die Finanzbehörde und ggf. das FG in eigener Kompetenz zu entscheiden.[9]

 

Rz. 10b

Kein die Aussetzung rechtfertigendes Rechtsverhältnis ist die Möglichkeit einer Rechtsänderung, auch wenn sie sich schon konkret abzeichnet.[10]

 

Rz. 11

Ein schwebendes Verständigungs- oder Schiedsverfahren über völkerrechtliche Vereinbarungen nach § 2 AO rechtfertigt keine Aussetzung der Einspruchsentscheidung nach § 363 Abs. 1 AO.

[1] BFH v. 1.12.1992, VII B 229/91, BFH/NV 1994, 479; Birkenfeld, in HHSp, AO/FGO, § 363 Rz. 71.
[2] FG Baden-Württemberg v. 15.11.1968, II 905/67 Z, EFG 1969, 136.
[3] Birkenfeld, in HHSp, AO/FGO, § 363 AO Rz. 74.
[4] Klein/Rätke, AO, 14. Aufl. 2018, § 363 Rz. 7; Hardtke, in Kühn/v.Wedelstädt, AO/FGO, 22. Aufl. 2018, § 363 AO Rz. 2; Werth, in Gosch, AO/FGO, § 363 AO Rz. 10.
[5] Birkenfeld, in HHSp, AO/FGO, § 363 AO Rz. 79; s. auch Brandis, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 363 AO Rz. 5.
[7] BFH v. 28.6.1968, III 163/55, BStBl II 1968, 706; BFH v. 8.6.1990, III R 41/90, BStBl II 1990, 944.
[8] Klein/Rätke, AO, 14. Aufl. 2018, § 363 AO Rz. 7.
[10] FG Baden-Württemberg v. 13.3.1985, XII K 1014/85, DStZ/E 1986, 30.

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