Rz. 6

Der Regelungsinhalt des § 351 Abs. 1 AO folgt aus der Bindungswirkung der Bestandskraft von Verwaltungsakten.[1] Die formelle Bestandskraft des Verwaltungsakts wirkt für und gegen den Beteiligten und die Finanzbehörde. Eine Durchbrechung der Bestandskraft und damit eine Modifizierung des Regelungsinhalts des bestandskräftigen Verwaltungsakts ist nur zulässig, soweit gesetzliche Korrekturbestimmungen dies ermöglichen.[2] Durch eine spätere Änderung bleibt die Bestandskraft des Regelungsinhalts des vorherigen Verwaltungsakts, hier als Erstbescheid bezeichnet, erhalten, er bekommt nur einen anderen Regelungsinhalt.[3] Der Fortbestand des Erstbescheids bewirkt somit zwangsläufig, dass der ändernde Verwaltungsakt, hier als Änderungsbescheid bezeichnet, grundsätzlich nur insoweit angegriffen werden kann, als die Änderung reicht. Für eine Überprüfung des unanfechtbaren Erstbescheids besteht letztlich kein Rechtsschutzbedürfnis.[4] Durch den Erlass des Änderungsbescheids soll der Beteiligte im Interesse der Rechtssicherheit nicht eine Rechtsposition zurückerlangen, die er mit dem Eintritt der Unanfechtbarkeit des Erstbescheids[5] verloren hatte.[6]

 

Rz. 6a

Im Übrigen gilt § 351 Abs. 1 AO für die Anfechtung aller Verwaltungsakte. Eine Beschränkung auf Verwaltungsakte mit einem bestimmten Regelungsinhalt, z. B. nur für "Geldbescheide", ist der Vorschrift nicht zu entnehmen.[7]

 

Rz. 7

Die Einschränkung der Einspruchsbefugnis bezieht sich nur auf die im Verwaltungsakt getroffene rechtliche Regelung[8], denn nur der "Tenor", nicht jedoch die Gründe des Verwaltungsakts werden bestandskräftig.[9]

Unter diesem Gesichtspunkt können gegen den Änderungsbescheid auch Anfechtungsgründe geltend gemacht werden, die schon gegen den Erstbescheid hätten geltend gemacht werden können.[10] Im Rahmen einer Änderung sind also, wie es auch § 177 AO vorsieht, andere Fehler des Erstbescheids auszugleichen.

Der Anfechtungsrahmen des § 351 Abs. 1 AO[11] gilt auch dann, wenn Gründe gegen den Änderungsbescheid geltend gemacht werden, die erst nach Eintritt der Bestandskraft des Erstbescheids entstanden sind, wie etwa Änderungen des Gesetzes, Feststellung der Verfassungswidrigkeit der zugrunde liegenden Rechtsnorm durch das BVerfG oder Änderung der Rspr.[12]

 

Rz. 7a

§ 351 Abs. 1 AO bestimmt den Anfechtungsrahmen. Die Veränderung der Regelung des Erstbescheids darf höchstens dazu führen, dass der Änderungsbescheid aufgehoben wird und es bei dem Regelungsinhalt des Erstbescheids verbleibt. Eine niedrigere Steuerfestsetzung als im bestandskräftigen ursprünglichen Steuerbescheid kann grundsätzlich nicht erreicht werden.[13] Für eine Verbesserung der Rechtsposition ist die Einspruchsbefugnis nach § 350 AO nur gegeben, wenn die Anwendbarkeit des § 351 Abs. 1 AO selbst bestritten wird[14] und geltend gemacht wird, dass ein Rechtsanspruch auf eine weitergehende Änderung besteht.[15] Änderungsbescheide können danach regelmäßig nur noch insoweit angefochten werden, als sie Regelungen enthalten, die bisher nicht getroffen worden sind. Einsprüche, mit denen mehr begehrt wird, als durch den Tenor des unanfechtbar gewordenen Erstbescheids festgesetzt worden ist, sind unzulässig.[16]

 

Rz. 8

Unter diesem Gesichtspunkt schränkt § 351 Abs. 1 AO die erneute Ausübung des Wahlrechts der Veranlagungsart zur ESt[17] ebenfalls nicht ein.[18]

 

Rz. 8a

§ 351 Abs. 1 AO begrenzt lediglich die Möglichkeiten des Stpfl., einen Änderungsbescheid anzugreifen[19], schließt jedoch eine volle Überprüfung des Änderungsbescheids durch die Finanzbehörde gem. § 367 Abs. 2 AO und ggf. die Verböserung nach § 367 Abs. 2 S. 2 AO nicht aus.[20] § 351 Abs. 1 AO führt dazu, dass i. d. R. keine niedrigere Steuer als im ursprünglichen Verwaltungsakt festgesetzt werden kann[21], begrenzt jedoch nicht die Befugnis der Finanzbehörde, eine höhere Steuer aufgrund von Änderungsvorschriften festzusetzen.[22]

 

Rz. 8b

§ 351 Abs. 1 AO schließt das Begehren, einen Änderungsbescheid erstmalig nach § 165 AO für vorläufig zu erklären, aus.[23]

 

Rz. 8c

§ 351 Abs. 1 AO hat i. d. R. nur Bedeutung, wenn eine zusätzlich belastende Änderung eines belastenden Verwaltungsakts erfolgt.[24] In einem solchen Fall kann der Einspruchsführer infolge der Regelung des § 351 Abs. 1 AO maximal die Belastung des Erstbescheids durch die Aufhebung des Änderungsbescheids erreichen.[25]

Die Anwendung der Regelung wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass der bestandskräftige Erstbescheid selbst schon ein zulasten des Einspruchsführers geänderter Bescheid war[26] und der erneute Änderungsbescheid zugunsten des Einspruchsführers ergeht.[27] Auch hier darf die Belastung des geänderten Erstbescheids nicht unterschritten werden.

 

Rz. 8d

§ 351 Abs. 1 AO begrenzt demgemäß die Einspruchsbefugnis gegen einen begünstigenden Änderungsbescheid, sofern nicht ein Anspruch auf eine weitergehende Änderung besteht oder die Änderungsnorm eine Verbesserung zulässt.[28]

§ 351 Abs. 1 gilt ferner für die belastende Änderung eines begünstigenden Verwaltungsakts. Hier is...

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