Rz. 128

Für Informationen und Aktenvorlagen an parlamentarische Untersuchungsausschüsse (vgl. dazu auch Rz. 90) ist dann ein zwingendes öffentliches Interesse gegeben, wenn diese zwingend erforderlich sind, um Vorgänge im Rahmen der parlamentarischen, politischen Kontrolle zu überprüfen, die von besonders weit reichender Bedeutung sind. Das ist z. B. bei Vorgängen anzunehmen, die weite Teile der Bevölkerung berühren oder berührt haben oder die die Voraussetzungen des § 30 Abs. 4 Nr. 5 Buchst. a oder b AO für die Mitteilung an die Strafverfolgungsbehörden erfüllen. Eine parlamentarische Kontrolle ist z. B. auch besonders sinnvoll und notwendig, wenn die Exekutive bei der Einräumung von Subventionen einen weiten Entscheidungsspielraum hat.[1] Die vom BVerfG und sich diesem anschließend vom OVG Koblenz[2] in verfassungskonformer Auslegung herangezogene Vorschrift des § 30 Abs. 4 Nr. 5 Buchst. c AO passt allerdings ganz und gar nicht. Diese Vorschrift enthält lediglich eine sehr enge Regelung, die der Verwaltung ein dazu noch besonders eingeschränktes Abwehrrecht einräumen soll. Es ist zutreffend, den Gedanken des zwingenden öffentlichen Interesses, für das § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO nur Beispiele nennt, allgemein als "unbenannten Fall" heranzuziehen.[3] Aus der Ausübungsmöglichkeit für das politische Kontrollrecht kann unter bestimmten Voraussetzungen ein zwingendes öffentliches Interesse abgeleitet werden. Voraussetzung ist dabei, dass das verfassungsrechtlich fundierte Kontrollinteresse weiter geht als das Interesse des Betroffenen an der Geheimhaltung. Die Verpflichtung des parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Wahrung des Dienstgeheimnisses, kann nicht zur Begründung des zwingenden öffentlichen Interesses herangezogen werden.[4] Es kann allerdings die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen das Offenbaren im Hinblick auf den Verfassungsgrundsatz der informellen Selbstbestimmung mindern. Zu beachten ist auch hier der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Berechtigung der Aktenvorlage aus zwingendem öffentlichen Interesse kann sowohl für einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss des Bundestages gegenüber der Bundesverwaltung als auch für solche Ausschüsse der Länderparlamente gegenüber der Länderverwaltung gelten. Sie kann jedoch nicht weiter reichen als der Bereich der politischen Kontrolle, sich also z. B. nicht auf eine Aktenvorlage durch eine Landesbehörde an einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss des Bundestages beziehen. Wie in den Fällen des § 30 Abs. 4 Nr. 5 Buchst. a und b AO sind ggf. alle für die Untersuchung dienlichen Informationen und Aktenvorlagen erlaubt.

 

Rz. 129

Auch über die Untersuchungsausschüsse der Parlamente hinausgehend wird zur Ausübung der parlamentarischen Kontrolle in der Rechtsprechung eine Güterabwägung der widerstreitenden Grundrechte für erforderlich gehalten. Im deutschen Rechtssystem besteht eine zentrale Aufgabe des Parlaments in der Kontrolle der Regierung. Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, benötigen die Abgeordneten umfassende Informationen. In diesem Zusammenhang kommt auch dem Fragerecht der Abgeordneten eine besondere Bedeutung zu. Diesem entspricht in der Regel die Auskunftspflicht der Regierung. Dieses Informationsrecht der Abgeordneten kann sich dabei auch auf vom Steuergeheimnis geschützte Daten beziehen. Die Frage der Beantwortungspflicht der Exekutive trotz Bindung an das Steuergeheimnis lässt sich m. E. einfachgesetzlich in der Öffnungsnorm des § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO als Verortung eines zwingenden öffentlichen Interesses beurteilen.

Von verschiedenen – auch höchsten – Landesgerichten[5] wird die Einzelfallabwägung in Form einer Güterabwägung zwischen dem – von den jeweiligen Landesverfassungen wie vom GG geschützten – parlamentarischen Auskunftsanspruch der Abgeordneten zur wirksamen Regierungskontrolle, sowie dem Grundrecht der betroffenen Person (i. d. R. Stpfl.) auf informationelle Selbstbestimmung für erforderlich gehalten, ohne dass sich die Finanzverwaltung allein auf das unterhalb der Verfassungsautonomie der Länder stehende bundesrechtlich geregelte Steuergeheimnis berufen könne.[6] Einer solchen freien Einzelfallabwägung im "rechtsfreien Raum", also ohne Beachtung der bundesgesetzlichen Gewichtung des § 30 AO bedarf es nicht. Dass die Regelbeispiele des § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO den Spielraum für die behördliche Entscheidung auch bei verfassungsrechtlich gewährleisteten Auskunftsansprüchen insoweit einengen, als für eine vollständig freie Abwägung im Einzelfall kein Raum bleibt, weil der Gesetzgeber damit den Maßstab für das zwingende öffentliche Interesse vorgegeben hat, begegnet keinen durchgreifenden Bedenken.[7] Vielmehr lässt sich dem das Gewicht eines verfassungsrechtlich gewährleisteten Auskunftsrechts zur parlamentarischen Kontrolle substantiell entgegenstellen, ohne das Gewicht des zwingenden öffentlichen Interesses zu schmälern. Es steht deshalb m. E. nicht infrage, dass die Abgeordneten ihre parlamentarischen Kontrollrechte auch dann noc...

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