Rz. 22

Die Ermittlung des Sachverhalts geschieht durch die Behörde im Rahmen ihrer allgemeinen Ermittlungspflicht. Die Finanzbehörde hat den entscheidungserheblichen Sachverhalt umfassend und einwandfrei zu ermitteln[1]. Dem Steuerschuldner obliegt es jedoch, hierbei verstärkt mitzuwirken (s. Rz. 16–18, 1921; § 90) und die stundungsbegründenden Umstände erforderlichenfalls nachzuweisen[2].

 

Rz. 23

Die Entscheidung über die Stundung liegt im Ermessen der Finanzbehörde[3]. Die Finanzbehörde hat deshalb, nachdem sie das Vorliegen der Voraussetzungen der erheblichen Härte und der Nichtgefährdung des Anspruchs festgestellt hat, nach pflichtgemäßem Ermessen zu prüfen, ob bei der Einziehung der Steuer trotz erheblicher Härte für den Stpfl. und Fehlens einer Gefährdung des Anspruchs eine Ablehnung der Stundung in Betracht kommt. Dabei ist eine Abwägung der Interessen des Steuergläubigers und des Stpfl. anzustellen[4]. Zwar bedeuten die Voraussetzungen "erhebliche Härte" und "der Anspruch durch die Stundung nicht gefährdet erscheint" unbestimmte Rechtsbegriffe (so auch Kruse, in T/K, AO, § 222 Rz. 54). Sie stehen jedoch – die Behörde "kann" stunden – in Zusammenhang mit der Einräumung der Ermessensausübung. Die Ausführungen des GmS-OBG v. 19.10.1971, GmS-OGB 3/70, BStBl II 1972, 603 für den Erlass nach § 131 RAO treffen auch auf die Stundung zu. Sie ist als Korrekturmöglichkeit für die starren gesetzlichen Vorschriften gedacht (s. Rz. 3), deren Anwendung in das Ermessen der Verwaltung gestellt sein sollte. Der Begriff "erheblich" ragt in diesen Ermessensbereich hinein und bestimmt damit zugleich Inhalt und Grenzen der pflichtgemäßen Ermessensausübung. Der Ermessensspielraum kann sich insbesondere bei den auf sachliche Billigkeitsgründe gestützten Stundungsfällen so verengen, dass die Ablehnung der Stundung als ermessensfehlerhaft anzusehen wäre[5]. Das ist etwa der Fall, wenn ein Gegenanspruch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit besteht und in absehbarer Zeit fällig werden wird[6]. Zeitraubende und über Gebühr eilige Ermittlungen zum Bestehen und/oder der Höhe eines behaupteten Gegenanspruchs braucht die Behörde nicht anzustellen.

Bei der Ermessensentscheidung ist auch der Charakter der Steuerart zu berücksichtigen, die gestundet werden soll. Soweit der Stpfl. die Steuer vom Steuerschuldner einzubehalten und abzuführen hat[7] oder vom Steuerträger eingenommen hat[8], konnte auch vor Einfügung der S. 3 und 4 in § 222 durch das Missbrauchsbekämpfungs- und SteuerbereinigungsG v. 21.12.1993 eine Stundung grundsätzlich nicht gewährt werden, da dem Stpfl. hier die Mittel zur Verfügung gestanden haben und er sie pflichtwidrig anderweitig verwendet hat[9]. Eine Stundung kam allerdings ausnahmsweise in Betracht, wenn sichere und alsbald fällige Gegenansprüche bestanden oder wenn dem Stpfl. aus anderen Gründen eine Zahlung nicht zuzumuten war (z. B. sichere Zahlungsverpflichtung öffentlicher Auftraggeber gegenüber dem Stpfl.). Für die Stundung von Haftungsansprüchen gilt im Übrigen Entsprechendes wie zu den Steueransprüchen. Allerdings gilt die Beschränkung des S. 4 nur für die dort genannten Haftungsansprüche gegen die Entrichtungspflichtigen. Darüber hinaus sind Stundungen bei Haftungsansprüchen unbeschränkt, wenn ihre Voraussetzungen gegeben sind. Für die Stundung von Säumniszuschlägen können sich aus deren Charakter als Druckmittel besonderer Art Abweichungen ergeben.

 

Rz. 24

Bei der Ermessensausübung ist auch zu berücksichtigen, dass der sich aus der Stundung ergebende finanzielle Vorteil durch die Stundungszinsen nach § 234 wenigstens teilweise kompensiert werden soll, sofern diese nicht aus Billigkeitsgründen zu erlassen sind (§ 234 Abs. 2). Es besteht somit noch weniger Grund als nach der früheren Rechtslage der RAO zu einer kleinlichen Handhabung im Einzelfall.

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