Rz. 11

Erfüllen die Beteiligten ihre Obliegenheit, einen gemeinsamen Empfangsbevollmächtigten zu ernennen, nicht, gilt nach § 183 Abs. 1 S. 2 AO der Vertretungs- oder Verwaltungsberechtigte als Empfangsbevollmächtigter (fingierte Empfangsvollmacht). Der Rechtsgrund dieser Regelung besteht darin, dass der Gesetzgeber typisierend davon ausgeht, dass zu dem Vertretungs- und Verwaltungsberechtigten ein Vertrauensverhältnis besteht und dass der Gesellschafter oder Gemeinschafter die Möglichkeit hat, sich zu informieren, wenn der Bescheid dem Vertretungsberechtigten bekannt gegeben wird. Das gilt jedoch nicht für einen Unterbevollmächtigten. Hat der Vertretungs- und Verwaltungsberechtigte eine Untervollmacht erteilt, kann die Finanzbehörde die Bekanntgabe nicht an den Unterbevollmächtigten durchführen.[1]

 

Rz. 11a

Der Rechtsschutz des Beteiligten soll durch die fingierte Empfangsvollmacht aber nicht vermindert werden. Daher ist die Bekanntgabe an den Vertretungsberechtigten nicht ausreichend, wenn im Einzelfall diese typisierende Annahme nicht zutrifft und daher die Information des Beteiligten nicht sichergestellt ist. Das ist der Fall, wenn der Stpfl. bestreitet, an der Gesellschaft oder Gemeinschaft beteiligt zu sein, oder andere Beteiligte bestreiten, dass der Stpfl. beteiligt ist, und erstmals über das Bestehen der Gesellschaft oder Gemeinschaft und die Beteiligung des Stpfl. entschieden wird. Dann hat Einzelbekanntgabe zu erfolgen.[2] Negative Feststellungsbescheide dürfen daher nicht nach Abs. 1 S. 2 bekannt gegeben werden. Vielmehr hat eine gesonderte Bekanntgabe an den negativ Beteiligten zu erfolgen. Entsprechendes gilt für gemischte negativ-positive Feststellungsbescheide. Sie dürfen an die positiv Beteiligten nach Abs. 1 S. 2 bekannt gegeben werden, an den negativ Beteiligten hat Einzelbekanntgabe zu erfolgen.

 

Rz. 12

Wer der Vertretungsberechtigte ist, an den bekanntzugeben ist, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu entscheiden. Bei Personengesellschaften ist dies der vertretungsberechtigte Geschäftsführer, bei Liquidation der Liquidator.[3] Dagegen ist der Liquidator einer Komplementär-GmbH nicht Empfangsbevollmächtigter für die Gesellschafter der GmbH & Co. KG.[4] Vertretungsberechtigter kann auch ein Testamentsvollstrecker sein. Der Vertretungs- oder Verwaltungsberechtigte braucht nicht Beteiligter zu sein.

 

Rz. 13

Das Wort "ein" in § 183 Abs. 1 S. 2 AO ist unbestimmter Artikel, nicht Zahlwort. Die Vorschrift ist daher auch anwendbar, wenn mehrere vertretungsberechtigte Personen vorhanden sind.[5] Sind diese Personen einzelvertretungsberechtigt, genügt die Bekanntgabe an einen von ihnen, den die Finanzbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen auswählen kann. Sind mehrere Bevollmächtigte nur gesamtvertretungsberechtigt, genügt ebenfalls die Bekanntgabe an einen von ihnen. Es braucht keine Bekanntgabe an alle Bevollmächtigten gemeinsam zu erfolgen.[6] Diese Regeln gelten auch für Sozietäten von Freiberuflern.[7]

 

Rz. 13a

In sachlicher Hinsicht bezieht sich die Bekanntgabevollmacht nur auf das Verfahren der gesonderten Feststellung, dann aber auf alle in diesem Zusammenhang ergehenden Verwaltungsakte. Nach S. 2 bekannt gegeben werden können daher neben den Feststellungsbescheiden alle Verwaltungsakte und Mitteilungen, die sich auf das Verfahren zur gesonderten Feststellung beziehen.

 

Rz. 14

In den Fällen der Bekanntgabe an den Vertretungs- oder Verwaltungsberechtigten ist eine Begründung des Bescheids nicht erforderlich, soweit die Finanzbehörde der Feststellungserklärung gefolgt ist. Es kann i. d. R. davon ausgegangen werden, dass der Vertretungs- und Verwaltungsberechtigte an der Erklärung mitgewirkt hat und ihren Inhalt daher kennt.[8]

[1] Brandis in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 183 AO Rz. 13.
[3] BFH v. 21.6.1979, IV R 131/74, BStBl II 1979, 780; BFH v. 21.1.1982, IV R 146/78, BStBl II 1982, 506; Abs. 2 ist nicht anzuwenden, weil die Gesellschaft bei Liquidation noch nicht zu bestehen aufgehört hat.
[5] A. A. FG Rheinland-Pfalz v. 25.7.1984, 6 K 5/83, EFG 1985, 160.
[6] Arg. § 6 Abs. 3 VwZG; BFH v. 23.6.1988, IV R 33/86, BStBl II 1988, 979; Söhn, in HHSp, AO, FGO, § 183 AO Rz. 77; a. A. Brandis, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 183 AO Rz. 14; Kunz, in Gosch, AO/FGO, § 183 AO Rz. 10.
[8] Vgl. AEAO, zu § 183 Nr. 1.

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