Rz. 111

In allen Fällen ist die Änderung nur zulässig, wenn die Finanzbehörde bei der ersten, unrichtigen Steuerfestsetzung unzweideutig zu erkennen gegeben hat, dass der fragliche Sachverhalt bei einer anderen, zweiten Steuerfestsetzung (oder bei einer anderen, früheren Steuerfestsetzung; vgl. Rz. 101) hätte berücksichtigt werden müssen. Es muss also ausgeschlossen sein, dass die Nichtberücksichtigung dieses Sachverhalts auf anderen Gründen (Rechtsirrtum, der nicht mit der zweiten Veranlagung zusammenhängt, Unkenntnis dieses Sachverhalts, Versehen) beruht. Ist der Sachverhalt richtigerweise bei einem Dritten zu erfassen, muss die unrichtige Annahme der Finanzverwaltung für den Dritten erkennbar sein. Der Dritte braucht jedoch in dem Rechtsbehelfs- oder Gerichtsverfahren gegen den unrichtigen Steuerbescheid nicht beigeladen oder hinzugezogen zu werden. Insofern unterscheidet sich der Tatbestand des Abs. 3 von dem des § 174 Abs. 4 AO.[1]

 

Rz. 112

Die Annahme der Finanzbehörde, der Sachverhalt müsse in einem anderen Steuerbescheid berücksichtigt werden, muss erkennbar sein. Erkennbarkeit bedeutet, dass der oder die Adressaten desjenigen Steuerbescheids, der nach Abs. 3 geändert werden soll, diese Annahme bei verständiger Würdigung des Steuerbescheids, der Anlagen hierzu, eines Prüfungsberichts oder eines Schriftverkehrs erkennen konnten. Dabei ist der gesamte Sachverhaltsablauf der Beurteilung zugrunde zu legen.[2] Auf den Adressaten des zu ändernden Steuerbescheids ist abzustellen, da es sich um die Durchbrechung der Bestandskraft dieses Steuerbescheids handelt.[3] Erkennbarkeit liegt insbesondere vor, wenn der Stpfl. bzw. sein gesetzlicher Vertreter das FA durch eigene Maßnahmen veranlasst hat, den Sachverhalt nicht bei ihm, sondern bei einem anderen zu erfassen. Erkennbarkeit liegt auch bei Personalunion des Geschäftsführers zweier Gesellschaften vor.[4] Ist der Stpfl. steuerlich beraten, ist für die "Erkennbarkeit" auch auf Erkennbarkeit für den steuerlichen Berater abzustellen.[5]

 

Rz. 112a

Die Annahme der Finanzverwaltung muss im Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Steuerbescheids, d. h. nach § 124 AO bei Bekanntgabe, erkennbar sein.[6]

 

Rz. 113

Liegt für diesen Stpfl. Erkennbarkeit vor, müssen nicht zusätzlich die Voraussetzungen des Abs. 5 vorliegen, d. h., als Dritter muss er nicht an dem Verfahren über den Steuerbescheid beteiligt worden sein, in dem der Sachverhalt (fälschlich) berücksichtigt worden ist.[7] Die Tatbestände der Abs. 3 und 5 sind insoweit kumulativ verwirklichungsfähig, stehen also unabhängig nebeneinander.

 

Rz. 114

Maßstab für die Erkennbarkeit ist die Erkennbarkeit für den einzelnen Stpfl. Es ist also auf die subjektiven Kenntnisse und Erfahrungen gerade des Stpfl. abzustellen, dessen Steuerbescheid geändert werden soll.[8] Erkennbarkeit für einen Dritten genügt nicht.[9] Erkennbarkeit kann auch gegeben sein, wenn sie sich aus einem Betriebsprüfungsbericht über eine GmbH ergibt, die Wirkungen aber bei einer KG eintreten, wenn der Geschäftsführer der GmbH gleichzeitig auch geschäftsführender Komplementär der KG ist.[10] Entsprechendes gilt, wenn die GmbH selbst Komplementär der KG ist. Bei einer Personengesellschaft (gesonderte Feststellung) kommt es für die Ertragsteuern auf die Erkennbarkeit für den Feststellungsbeteiligten als den Inhaltsadressaten des Feststellungsbescheids an, also die Gesellschafter.[11] Umstände, die bei der einen Personengesellschaft erkennbar sind, wirken sich daher auch bei einer anderen beteiligungsidentischen Personengesellschaft aus.[12] Für die GewSt ist aber allein auf die Erkennbarkeit durch die Personengesellschaft selbst (d. h. den geschäftsführenden Gesellschafter) abzustellen, weil insoweit die Personengesellschaft selbst Steuersubjekt ist.[13]

 

Rz. 114a

Ist der Stpfl. steuerlich beraten, genügt Erkennbarkeit für den steuerlichen Berater. Das Beratungsverhältnis muss jedoch in dem Zeitpunkt, in dem die Behörde die Annahme erkennbar macht, noch oder schon bestehen.

 

Rz. 114b

Soll die Steuerfestsetzung eines Dritten geändert werden, muss die Annahme für diesen Dritten erkennbar sein. Das kann der Fall sein, wenn die beiden betroffenen steuerpflichtigen Gesellschaften den gleichen Geschäftsführer haben.[14] Allein aus der Tatsache, dass es sich bei den betroffenen Gesellschaften um Organträger und Organgesellschaft handelt, ergibt sich noch nicht, dass die Annahme in dem Steuerbescheid gegenüber dem einen Stpfl. für den anderen Stpfl. erkennbar ist.[15] Auch in diesem Fall muss die Erkennbarkeit positiv festgestellt werden. Andererseits genügt es für die Erkennbarkeit aber, dass die Steuerangelegenheiten der Organgesellschaft von der Steuerabteilung des Organträgers bearbeitet werden. Dann haben die maßgebenden Personen Kenntnis von den Steuerangelegenheiten beider Gesellschaften.

 

Rz. 115

In aller Regel ist die Annahme der Finanzbehörde nur erkennbar, wenn dem Steuerbescheid, der später nach Abs. 3 geändert werden soll, ein ausdrücklicher Hinweis beigefügt ist. Aus...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Steuer Office Excellence. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge