Rz. 77

Wegen des Grundsatzes des Vertrauensschutzes darf die unrichtige der widerstreitenden Steuerfestsetzungen nur aufgehoben oder geändert werden, wenn die doppelte, und damit widerstreitende Berücksichtigung des günstigen Sachverhalts auf einen Antrag oder auf eine Erklärung des Stpfl. (bei mehreren Stpfl. desjenigen, bei dem der günstige Sachverhalt zu Unrecht berücksichtigt worden ist) zurückzuführen ist. Die Änderung nach § 174 Abs. 2 AO setzt voraus, dass die fehlerhafte Berücksichtigung des Sachverhalts auf einen Antrag oder eine Erklärung des Stpfl. zurückgeht, sodass die Ursache für den Fehler in einer Äußerung des Stpfl. liegt. Die Anwendung des § 174 Abs. 2 AO ist daher nur möglich, wenn der Stpfl. selbst, allein oder überwiegend, die fehlerhafte Berücksichtigung des Sachverhalts verursacht hat und aus diesem Grund nicht auf die Bestandskraft des für ihn günstigen Steuerbescheids vertrauen kann.[1] Es genügt Verursachung durch den Stpfl. Verschulden ist nicht erforderlich, daher auch nicht Kenntnis oder Kennenmüssen des Stpfl. Andererseits muss Verursachung vorliegen, d. h. eine Situation, bei der es bei richtiger Erklärung des Stpfl. nicht zu der widerstreitenden Steuerfestsetzung gekommen wäre. Hätte die Finanzbehörde auch bei richtiger Steuererklärung eine widerstreitende Steuerfestsetzung erlassen, kann der Widerstreit zugunsten des Stpfl. nicht durch § 174 Abs. 2 beseitigt werden.

 

Rz. 78

"Erklärung" i. S. d. Abs. 2 ist nicht nur die auf einem amtlichen Formular erstellte Steuererklärung, sondern alle Mitteilungen des Stpfl. an das FA, auch formlose Erklärungen, Anlagen zur ESt-Erklärung, dem FA eingereichte Bilanz und Einnahme-Überschussrechnung o. Ä.[2] So ist ein Widerstreit durch den Stpfl. verursacht, wenn Aufwendungen für gemeinsam genutzte Wirtschaftsgüter (Gemeinschaftspraxis) sowohl in der Erklärung zur gesonderten Feststellung als auch in der Gewinn- und Verlustrechnung der Einzelpraxis erfasst werden.[3]

 

Rz. 79

Für die Frage, ob die Berücksichtigung des Sachverhalts auf eine Erklärung oder einen Antrag des Stpfl. zurückgeht, ob also der Stpfl. die widerstreitende Steuerfestsetzung verursacht hat, ist von dem Zweck dieser Einschränkung des § 174 Abs. 2 AO auszugehen. Die den Stpfl. schützende Bestandskraft kann danach durchbrochen werden, wenn die Ursache für die fehlerhafte der beiden widerstreitenden Steuerfestsetzungen in seinem Herrschaftsbereich lag. Der Stpfl. ist dafür verantwortlich, wenn Fehler aus seiner Sphäre zu einer Unrichtigkeit und damit Widerstreit der Steuerfestsetzungen führen. Folge dieser Verantwortlichkeit ist, dass die Bestandskraft des Steuerbescheids durchbrochen werden kann, weil der Stpfl. keinen Vertrauensschutz verdient.

 

Rz. 80

In den Verantwortungsbereich des Stpfl. fällt in jedem Fall die unrichtige und unvollständige Darstellung des steuerlich erheblichen Sachverhalts[4] sowie eine missverständliche Darstellung.[5] Auf einen Antrag oder eine Erklärung des Stpfl. geht die unrichtige Steuerfestsetzung daher zurück, wenn er eine unrichtige, aber auch eine unvollständige Steuererklärung abgegeben hat.[6] Die Ursache für die unrichtige Steuerfestsetzung liegt dann in der pflichtwidrig unrichtigen oder unvollständigen Steuererklärung.

 

Rz. 81

Der Wortlaut der Vorschrift setzt einen Antrag oder eine Erklärung des Stpfl. voraus, also ein aktives Tun des Stpfl. Nicht erfasst wird Veranlassung der unrichtigen Steuerfestsetzung durch Unterlassen, und zwar auch dann nicht, wenn eine Pflicht zum Tätigwerden bestand. Das pflichtwidrige Unterlassen einer Mitteilung an die Finanzbehörde erfüllt daher den Tatbestand des § 174 Abs. 2 AO nicht, und zwar auch dann nicht, wenn der Stpfl. es unterlässt, eine ursprünglich richtige Erklärung, die durch Änderung der Umstände unrichtig geworden ist, zu berichtigen.[7]

 

Rz. 82

Dem Sinn der Vorschrift würde es entsprechen, auch den Fall der Nichtabgabe der Steuererklärung zu erfassen. Auch dann ist der Stpfl. für die (auf einer Schätzung beruhende) unrichtige Steuerfestsetzung verantwortlich. Für eine solche erweiternde Auslegung bietet der Wortlaut des § 174 Abs. 2 AO jedoch keine Stütze. Eine Unterlassung genügt für den Tatbestand des Abs. 2 nicht. Nach diesem eindeutigen Wortlaut wird ein aktives Tun des Stpfl. vorausgesetzt, eine Erklärung oder ein Antrag. Ein solches aktives Tun liegt zwar bei der Abgabe einer unvollständigen Steuererklärung vor, nicht aber bei einer Nichtabgabe der Steuererklärung.

 

Rz. 83

Es gehört jedoch nicht zum Verantwortungsbereich des Stpfl., für eine richtige Rechtsanwendung zu sorgen. Vertritt der Stpfl. daher eine unrichtige Rechtsansicht und folgt ihm die Finanzbehörde bei der Veranlagung, liegt der Fehler regelmäßig nicht in der Sphäre des Stpfl. Es ist allein Sache der Finanzbehörde, über die rechtliche Beurteilung eines Sachverhalts zu entscheiden. Entsprechend liegt keine Verursachung durch den Stpfl. vor, wenn die Finanzbehörde auf der Grundlage des durch den Stpfl. mitgeteilten Sachverhalts und g...

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