Rz. 24

Der Tatbestand des Abs. 1 setzt voraus, dass ein "bestimmter Sachverhalt" in mehreren Steuerbescheiden berücksichtigt worden ist, obwohl er nur einmal hätte berücksichtigt werden dürfen.

Grundlegend für die Anwendung des Tatbestands des Abs. 1[1] ist daher der Begriff des "bestimmten Sachverhalts". Das Gesetz gibt mit diesem Ausdruck einen unbestimmten Rechtsbegriff, der nach dem Zweck der Vorschrift zu konkretisieren ist.

 

Rz. 25

Ein Sachverhalt ist ein Lebensvorgang, d. h. ein oder mehrere Ereignisse in der Außenwelt, die aufgrund ihres inneren Zusammenhangs als zusammengehörig anzusehen sind und somit Teile eines einheitlichen Ganzen bilden, und der steuerlich relevant ist. Dabei ist nicht auf die einzelne steuererhebliche Tatsache abzustellen, sondern auf den einheitlichen, für die Besteuerung maßgebenden Sachverhaltskomplex.[2] Der Begriff des "bestimmten Sachverhalts" ist bei allen Tatbeständen des § 174 AO der Gleiche.[3]

 

Rz. 25a

Maßgebend sind nicht die steuerlichen Wirkungen. So ist eine Zuschussgewährung ein einheitlicher Sachverhalt, und zwar auch dann, wenn der Zuschuss in dem einen Steuerbescheid als Minderung der Herstellungskosten, in dem anderen Steuerbescheid als steuerpflichtige Einnahme behandelt worden ist. Das hat zur Folge, dass sich der Sachverhalt in dem einen Bescheid durch die Erfassung des Zuschusses als Einnahme einmalig, dagegen in anderen Bescheiden durch die AfA von den um den Zuschuss verminderten Herstellungskosten als über mehrere Jahre gestreckter Vorgang auswirken kann.[4] Der Sachverhaltskomplex setzt sich aus einer oder mehreren Tatsachen zusammen. So besteht der "Sachverhaltskomplex" bei der Ansparabschreibung in den Tatsachen, die für die Bildung und Auflösung der Ansparrücklage von Bedeutung sind, sowie aus den Merkmalen, aus denen sich die Eigenschaft als Existenzgründer ergibt.[5] Ebenfalls einen einheitlichen Sachverhaltskomplex bildet die Bestellung eines Gesamterbbaurechts an mehreren Grundstücken.[6] Der Sachverhaltskomplex der Gewinnausschüttung erfasst bei der ausschüttenden Gesellschaft nicht nur die KSt, sondern auch die KESt.[7] Entsprechend bilden bei dem Empfänger der Ausschüttung die Einnahme aus der Ausschüttung und die anrechenbare KESt einen "einheitlichen Sachverhalt".[8] Einen "Sachverhalt" können auch Erklärungen des Stpfl. bilden, wenn hieraus irrige Folgerungen gezogen worden sind, etwa Verzicht auf die Steuerfreiheit nach § 9 UStG sowie der Widerruf dieser Erklärung.[9] Für den Begriff der Tatsache wird auf § 173 AO Rz. 20ff. verwiesen. Der innere Zusammenhang, der mehrere Tatsachen zu einem Sachverhalt zusammenfasst, ist ein sachlicher Zusammenhang. Die Tatsachen bilden kraft ihrer sachlichen Zusammengehörigkeit ein einheitliches Ganzes. Daher bilden auch eine Erbbaurechtsbestellung und Bebauungsverpflichtung sowie die Bestellung eines Gesamterbbaurechts auf mehreren Grundstücken bei der GrErwSt einen einheitlichen Sachverhalt.[10] Nicht erforderlich, allein aber auch nicht ausreichend, ist ein zeitlicher oder örtlicher Zusammenhang. Das Erfordernis der "steuerlichen Relevanz" soll dabei aus Gründen der Praktikabilität lediglich Sachverhalte aus der Betrachtung ausscheiden, die unter keinem denkbaren Gesichtspunkt steuerlich von Bedeutung sein können.

 

Rz. 25b

Der Sachverhalt, der in mehreren Steuerfestsetzungen berücksichtigt ist, muss in den wesentlichen Punkten übereinstimmen. Allerdings ist keine vollständige Identität zwischen dem in den beiden Steuerfestsetzungen berücksichtigten Sachverhalt erforderlich. Bei dem in dem einen Steuerbescheid berücksichtigten Sachverhalt können Sachverhaltselemente hinzutreten, die in dem anderen Steuerbescheid zugrunde gelegten Sachverhalt fehlen. Beispiele sind etwa eine Veräußerung von Anteilen nach § 17 EStG bei einer Einbringung bei dem einen Steuerbescheid und eine Veräußerung von einbringungsgeborenen Anteilen bei dem anderen Steuerbescheid, oder Abschluss oder Beendigung eines Vertrags bei dem Sachverhalt des einen Steuerbescheids, was bei dem Sachverhalt des anderen Steuerbescheids fehlt.[11]

Ebenso bildet die Zuordnung von Umsätzen bei einer Darlehensgewährung, die durch Abtretung von Ansprüchen aus einer Leistung gesichert wird, einen einheitlichen Sachverhalt, wenn fraglich ist, ob die Darlehensgewährung oder die Vereinnahmung der Entgelte aus der Leistung umsatzsteuerpflichtig sind.[12]

 

Rz. 26

"Sachverhalt" i. d. S. ist also ein steuerlich relevantes Ereignis in der Außenwelt, das durch seinen inneren, sachlichen Zusammenhang von anderen Ereignissen in der Außenwelt mit einem anderen sachlichen Zusammenhang abgegrenzt ist. Mit dieser Auslegung ist das Tatbestandsmerkmal "bestimmt" ebenfalls bereits erfasst. Ein Sachverhalt, der durch seinen inneren Zusammenhang von anderen Sachverhalten abgegrenzt ist, ist auch immer "bestimmt". "Bestimmter Sachverhalt" ist also als ein einheitlicher Begriff zu verstehen.

 

Rz. 27

Besonders wichtig ist, dass es sich um "einen" bestimmten Sachverhalt handelt. § 174 ...

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