Rz. 206

Der maßgebliche Zeitpunkt für die Frage, ob grobes Verschulden vorliegt, ist der gleiche wie für die Frage der Kenntniserlangung durch die zuständige Stelle. Der Vorwurf des groben Verschuldens ist also nur schädlich, wenn das Verhalten des Stpfl. bis zur abschließenden Zeichnung der Veranlagung durch den zuständigen Beamten grob schuldhaft ist. Vgl. Rz. 94. Hat der Stpfl. Einspruch eingelegt, führt dies zur Überprüfung des ganzen Steuerfalls, sodass der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung des Verschuldens der Zeitpunkt der Unterzeichnung der Einspruchsentscheidung, bei einer Änderungsveranlagung aufgrund des Einspruchs der Zeitpunkt der maßgebenden Zeichnung der Änderungsveranlagung ist.[1] Trägt der Stpfl. also ihm bekannte Tatsachen bis zu diesem Zeitpunkt nicht vor, fällt ihm regelmäßig ein grobes Verschulden zur Last; er ist später mit diesen Tatsachen nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO ausgeschlossen. Änderungen des Steuerbescheids, die nicht zu einer umfassenden Überprüfung führen, haben auch keinen Einfluss auf den Zeitpunkt, zu dem das grobe Verschulden zu beurteilen ist .[2]

 

Rz. 207

Nach diesem Zeitpunkt erfolgendes Verhalten des Stpfl. kann m. E. keinen Verschuldensvorwurf mehr begründen. Erlangt der Stpfl. etwa während des Laufs der Rechtsbehelfsfrist Kenntnis von der Existenz von für ihn günstigen Tatsachen, legt er aber keinen Einspruch ein, kann ihm deswegen bei einem späteren Änderungsantrag nicht grobes Verschulden entgegengehalten werden. Der Stpfl. verwirkt also seinen Änderungsanspruch nicht, wenn er es unterlässt, Einspruch einzulegen.[3] Jedoch vertritt der BFH[4] in st. Rspr. die gegenteilige Ansicht. Danach ist für das Vorliegen des groben Verschuldens auf den Zeitpunkt des Eintritts der Bestandskraft, also des Ablaufs der Einspruchsfrist, abzustellen. Als Grund für diese Ansicht wird angegeben, dass bei Versäumung der Rechtsbehelfsfrist im Rahmen der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 110 AO jede Fahrlässigkeit schade. Würde eine Änderung der Steuerfestsetzung nach Ablauf der Einspruchsfrist auf Grund von während des Laufs der Einspruchsfrist dem Stpfl. bekannt gewordenen neuen Tatsachen ohne Rücksicht auf das Verschulden des Stpfl. zugelassen, würde die Einspruchsfrist ihre Bedeutung weitgehend verlieren. Der Stpfl. muss daher, will er den Vorwurf des groben Verschuldens vermeiden, Einspruch einlegen und alle ihm bis dahin sowie auch die ihm im Rahmen des Einspruchs- oder Klageverfahrens bekannt gewordenen Tatsachen vorbringen. Grobes Verschulden begründet es danach auch, wenn der Stpfl. den Bescheid nicht während der Rechtsbehelfsfrist geprüft hat.[5] Gleiches gilt danach, wenn der Stpfl. bei Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung keinen Einspruch eingelegt hat.[6] Grobes Verschulden liegt danach auch vor, wenn der Stpfl. Steuerbescheide bestandskräftig werden lässt, obwohl er wegen der Vorjahre ein Rechtsbehelfsverfahren führt und in dessen Rahmen neue Tatsachen vorgelegt hat, die auch für die Folgejahre relevant sind.[7] Verallgemeinernd hat der BFH darüber hinaus entschieden, dass es immer grobes Verschulden begründet, wenn der Stpfl. es unterlässt, ihm bekannte neue Tatsachen während der Rechtsbehelfsfrist dem FA mitzuteilen.[8]

 

Rz. 208

M. E. ist die Ansicht des BFH unrichtig. Maßgebend ist nur der Zeitpunkt, in dem die Finanzbehörde Kenntnis von den Tatsachen erhielt. Die verspätete Kenntniserlangung muss ursächlich für die unrichtige Steuerfestsetzung sein. Daher können Ereignisse, die nach der maßgeblichen Entscheidung durch die Finanzbehörde eintreten, nicht mehr relevant sein. Sie sind dann nicht mehr ursächlich für die falsche Entscheidung. Kannte die Finanzbehörde bei Erlass des Steuerbescheids die Tatsachen nicht, ist nur zu fragen, ob den Stpfl. grobes Verschulden daran traf, dass die Finanzbehörde die Tatsachen zu diesem Zeitpunkt nicht kannte. Für die Frage der Durchbrechung der Bestandskraft ist es ohne Bedeutung, ob die Finanzbehörde nach diesem maßgeblichen Zeitpunkt Kenntnis von den Tatsachen erhielt. Dann kann es aber auch nicht darauf ankommen, ob die Finanzbehörde diese Kenntnis nach dem maßgeblichen Zeitpunkt infolge des groben Verschuldens des Stpfl. nicht erhielt. Für eine Verschiebung des "maßgeblichen Zeitpunkts" nur im Fall des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO, und damit zulasten des Stpfl., fehlt die Rechtsgrundlage. Es kann auch nicht argumentiert werden, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, § 110 AO, mit dem Erfordernis des "fehlenden Verschuldens" werde gegenstandslos, wenn während des Laufs der Einspruchsfrist dem Stpfl. bekannt werdende Tatsachen später noch berücksichtigt werden könnten. Das Einspruchsverfahren, das § 110 AO ermöglichen soll, gestattet die umfassende Überprüfung einschließlich der Richtigstellung von Rechtsfehlern, die Änderung nach § 173 AO, um die es hier geht, aber nur eine punktuelle Richtigstellung von Sachverhaltsfehlern. Bei der Versäumung der Rechtsbehelfsfrist[9] ist daher ein strengerer Maßstab angebracht, ohn...

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