Rz. 89

Auch ein neu bekannt werdendes Beweismittel rechtfertigt eine Aufhebung oder Änderung der Steuerfestsetzung. Beweismittel ist jedes Erkenntnismittel, das geeignet ist, das Vorliegen oder Nichtvorliegen von Tatsachen zu beweisen, z. B. Urkunden, Karteien, Verträge, Zeugenaussagen, eidesstattliche Versicherungen, Gutachten, ärztliches Attest.[1] Für die Bewertung eines Grundstücks, Hauses oder Wohnung kann der Kaufpreis bei einem zeitnahen Verkauf ein Beweismittel sein, das jedoch nicht nachträglich entstanden sein darf.[2] Zu den Beweismitteln gehören auch die Hilfstatsachen, die nicht Tatbestandsmerkmale sind, sondern als Tatsachen die Beweisführung stützen. Hilfstatsachen sind z. B. die Tatsache, dass sich ein Zeuge bei der Aussage hat beeinflussen lassen oder dass eine Urkunde gefälscht oder verfälscht wurde. "Neue Tatsachen" i. S. d. § 173 AO sind diese Hilfstatsachen nicht, da sie nicht Bestandteil des gesetzlichen Tatbestands sind, sondern nur im Rahmen der Beweiswürdigung den Schluss auf Tatsachen zulassen.[3]

 

Rz. 90

Ein Beweismittel liegt auch vor, wenn die steuerlich erhebliche Tatsache, auch für die Finanzverwaltung bindend, durch eine behördliche Bescheinigung nachzuweisen ist. Die entscheidende Frage ist dann, ob diese Bescheinigung Grundlagenbescheid[4], materielle Voraussetzung[5] oder Beweismittel ist.[6]

 

Rz. 91

Ein Sachverständigengutachten ist nur dann Beweismittel, wenn es die Erkenntnis von neuen Tatsachen vermittelt, nicht jedoch, soweit es lediglich Schlussfolgerungen enthält.[7]

 

Rz. 92

Ein neues Beweismittel rechtfertigt nur dann eine Änderung, wenn es, evtl. zusammen mit anderen Beweismitteln, Beweis dafür erbringt, dass der ursprüngliche Steuerbescheid sachlich unrichtig ist.[8] Macht das neue Beweismittel es nur zweifelhaft, dass der Steuerbescheid sachlich richtig ist, genügt dies nicht für eine Änderung.

 

Rz. 93

Auch das Beweismittel muss "nachträglich bekannt geworden" sein, d. h., es muss im maßgebenden Zeitpunkt bestanden haben, muss der Finanzbehörde aber unbekannt gewesen sein.[9] Maßgebender Zeitpunkt ist der Zeitpunkt der abschließenden Entscheidung des FA (Rz. 98). Ein nachträglich geschaffenes Beweismittel fällt nicht unter § 173 AO (z. B. nachträglich erteilte Bescheinigung zu Beweiszwecken, nachträglich erstelltes Gutachten). Wird ein Grundstück verkauft, ist der Kaufpreis nur dann ein nachträglich bekanntgewordenes Beweismittel für den Wert des Grundstücks, wenn der Kaufvertrag vor der abschließenden Entscheidung des FA abgeschlossen worden ist. Bei einem späteren Abschluss des Kaufvertrags ist der vereinbarte Kaufpreis ein nachträglich entstandenes Beweismittel, das nicht zur Änderung nach § 173 Abs. 1 AO berechtigt.[10] Ebenso ist der nachträgliche Wegfall eines Beweismittels kein nachträglich bekanntgewordenes, sondern ein nachträglich entstandenes Beweismittel (eine Bescheinigung zu Beweiszwecken wird zurückgezogen).[11]

[1] FG Rheinland-Pfalz v. 2.6.1981, 2 K 132/80, EFG 1982, 94; BFH v. 20.12.1988, VIII R 121/83, BStBl II 1989, 585; FG Düsseldorf v. 20.2.1974, II 2/71 E, EFG 1974, 475; FG Rheinland-Pfalz v. 2.6.1981, 2 K 132/80, EFG 1982, 94; Schlesw.-Holst. FG v. 1.3.1989, IV 835/86, EFG 1989, 440; vgl. auch BFH v. 27.10.1992, VIII R 41/89, BStBl II 1993, 569.
[3] FG Berlin v. 2.2.1988, V 289/86, EFG 1988, 397, wo diese Fälle der Hilfstatsachen fälschlich unter "neue Tatsachen" anstatt unter "neue Beweismittel" eingeordnet werden; wie hier Loose, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 173 AO Rz. 23.
[5] Dann § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO; vgl. § 175 AO Rz. 67b.
[6] Dann § 173 AO.
[8] Boorberg, DB 1982, 72.
[10] BFH v. 12.5.2017, II R 60/15, BFH/NV 2017, 1299, Rz. 14.

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