Rz. 42

Bei der Frage, ob ein neuer Antrag eine Durchbrechung der Bestandskraft rechtfertigt, ist zu unterscheiden, ob der Antrag die neue Tatsache ist oder ob aufgrund neuer Tatsachen ein Antrag erstmals gestellt oder geändert wird.[1] Zur Einordnung eines neuen Antrags als rückwirkendes Ereignis nach § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO vgl. Frotscher, in Schwarz/Pahlke/Keß, AO/FGO, § 175 AO Rz. 128.

 

Rz. 42a

Auch ein Antrag, der auf die Höhe der Steuerfestsetzung Einfluss nimmt, kann eine nachträglich bekannt gewordene Tatsache sein.[2] Allerdings muss es sich bei dem Antrag um eine nachträglich bekannt gewordene Tatsache handeln, d. h. um einen Antrag, der vor dem maßgebenden Zeitpunkt (dem Zeitpunkt der abschließenden Zeichnung, vgl. Rz. 94) wirksam gestellt, der Finanzbehörde aber unbekannt war. Dieser Fall dürfte jedoch praktisch kaum vorkommen, da ein Antrag, um wirksam zu sein, bei der zuständigen Finanzbehörde gestellt sein muss, sich also dort in den Akten befindet und daher nicht unbekannt ist (vgl. Rz. 137ff.).

 

Rz. 43

Nicht zur Anwendung des § 173 AO führt es, wenn ein Antrag nach dem maßgeblichen Zeitpunkt erstmals gestellt wird. Dann war der Antrag eine zum maßgeblichen Zeitpunkt noch nicht existente Tatsache, nicht aber eine nachträglich bekannt gewordene Tatsache.[3] Entsprechendes gilt für die Änderung oder den Widerruf eines Antrags oder einer Zustimmung.[4] Das gilt auch, wenn der Antrag deshalb unterblieben war, weil der Stpfl. von dieser Möglichkeit nichts wusste; Kenntnis oder Unkenntnis von der Möglichkeit, einen Antrag zu stellen, ist keine "neue Tatsache" i. S. d. § 173 AO.[5]

Grundsätzlich ergibt sich die Unzulässigkeit eines neuen oder geänderten Antrags auch aus § 172 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a zweiter Halbsatz AO, wonach eine Änderung zugunsten des Stpfl. nur möglich ist, wenn der Antrag vor Eintritt der Bestandskraft gestellt worden ist.[6]

Im Ergebnis bedeutet dies, dass ein neuer Antrag nur dann erstmals gestellt oder geändert werden kann, wenn entweder die Steuerfestsetzung noch nicht bestandskräftig geworden ist, etwa im Rahmen eines Einspruchs- oder Klagverfahrens in der Tatsacheninstanz, wenn die Steuerfestsetzung unabhängig von dem Antrag geändert werden kann, z. B. nach § 164 Abs. 2 AO, oder im Rahmen des § 177 AO.[7] Zu einer Änderung nach § 173 AO s. Rz. 43a. Ist die Wahlrechtsausübung fristgebunden, ist zusätzlich der Ablauf dieser Frist zu beachten.

 

Rz. 43a

Sind allerdings neue Tatsachen eingetreten, die eine Änderung der Steuerfestsetzung rechtfertigen und wird damit eine neue Basis für die Stellung eines Antrags geschaffen, kann der Antrag noch gestellt werden, wenn er nicht fristgebunden ist. Das ist der Fall, wenn ein bestandskräftiger Bescheid geändert wird und durch die Erfassung bisher nicht berücksichtigter Besteuerungsgrundlagen in dem geänderten Bescheid für den Stpfl. erstmals die wirtschaftliche Notwendigkeit entsteht, das Wahlrecht auszuüben. In diesem Fall kann er das Wahlrecht, sofern dieses nicht selbst einer Fristbestimmung unterliegt, erstmals ausüben oder ein bereits ausgeübtes Wahlrecht anders ausüben. Es handelt sich hierbei nicht um eine Änderung des ursprünglichen Steuerbescheids nach § 173 AO nach Eintritt der Bestandskraft, sondern um eine Änderung des zweiten Bescheids im Rahmen des Rechtsbehelfsverfahrens. Ob das Wahlrecht vor Eintritt der Bestandskraft erstmals oder geändert ausgeübt wurde, richtet sich dann nicht nach der Bestandskraft des ersten Bescheids, sondern nach der noch nicht eingetretenen Bestandskraft des geänderten Bescheids. Allerdings sind die betragsmäßigen Auswirkungen des Wahlrechts dann durch § 351 AO begrenzt. Sie können sich also nur insoweit auswirken, als die Änderungen des zweiten Bescheids reichen.[8]

 

Rz. 44

Darüber hinaus ist eine Tatsache auch neu und führt daher zu einer Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO, wenn ihre Berücksichtigung von einem Antrag des Stpfl. abhängt und dieser Antrag, mangels Bekanntseins der Tatsache, bei der ursprünglichen Veranlagung nicht gestellt worden ist. Die gegenteilige Rechtsprechung, dass in einem solchen Fall die Tatsache mangels eines wirksamen Antrags nicht steuererheblich sei[9], hat der BFH zu Recht nicht für § 173 AO übernommen.[10] Daher ist ein neuer Antrag, der durch das Bekanntwerden neuer Tatsachen ermöglicht worden ist, steuerlich grundsätzlich zu berücksichtigen. Wenn dem Stpfl. ohne grobes Verschulden die Tatsache nicht bekannt war, konnte von ihm auch nicht die Stellung eines Antrags erwartet werden. An dem Fehlen des Antrags die Änderung scheitern zu lassen, wäre Formalismus, der im materiellen und formellen Recht keine Stütze fände. Soweit nach der jeweiligen Vorschrift, in der das Antrags- bzw. Wahlrecht gewährt wird, keine Antragsfrist besteht oder die Antragsfrist noch nicht abgelaufen ist, kann die neue Tatsache durch Stellen des Antrags steuererheblich i. S. d. § 173 AO gemacht werden.

 

Rz. 45

Nach dem Tatbestand des § 173 AO ist ein neuer Antrag aufgrund neuer Tatsachen nur in zwe...

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