Rz. 20

Die Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden nach § 173 AO ist sowohl zuungunsten als auch zugunsten des Stpfl. nur möglich, wenn und soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden.

"Tatsache" ist alles, was Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Steuertatbestands sein kann, also Zustände, Vorgänge, Beziehungen, Eigenschaften materieller und immaterieller Art.[1] Die Tatsachen können sich sowohl auf Sachen als auch auf Personen beziehen. Auch Verhältnisse oder Beziehungen zwischen Sachen, zwischen Personen oder zwischen Sachen und Personen können Tatsachen sein. Die Tatsachen können sowohl äußere, objektive Tatsachen sein, die der Außenwelt angehören, als auch innere, subjektive Tatsachen, wie eine Absicht oder ein Plan (vgl. näher Rz. 28). Das Nichtvorliegen von Tatsachen wird ebenso behandelt wie das Vorliegen, d. h., § 173 AO ist anwendbar, wenn eine Tatsache, die bisher nicht berücksichtigt wurde, bekannt wird, aber auch, wenn bekannt wird, dass eine Tatsache, die bisher berücksichtigt wurde, nicht eingetreten ist.

 

Rz. 20a

Keine Tatsachen sind Wertungen, Schlussfolgerungen, juristische Subsumtionen, Rechtsanwendung, Rechtsansichten u. Ä. Sie stellen keinen Vorgang, keine Beziehung und keine Eigenschaft einer Person oder Sache dar.[2] Keine Tatsache ist, da nicht Teilstück eines gesetzlichen Steuertatbestands, der Umstand, dass ein Benennungsverlangen nach § 160 AO gestellt wurde, sowie, dass es nicht oder nicht ausreichend beantwortet wurde (vgl. Rz. 94). Umstände, die sich aus der Beantwortung des Benennungsverlangens ergeben, können aber "Tatsachen" sowie "neu" i. S. d. § 173 AO sein. Ebenfalls keine Tatsache ist eine Gesetzesänderung. Übersieht das FA eine Rechtsänderung, liegt ein Rechtsfehler, keine neuen Tatsachen vor.[3]

 

Rz. 21

Der Inhalt ausländischer Rechtsnormen, soweit er für die inländische Besteuerung von Bedeutung ist, unterliegt nicht der Subsumtion, also auch nicht der inländischen Rechtsanwendung. Ausländische Rechtsnormen sind daher von Behörde und Gericht wie Tatsachen mit den üblichen Erkenntnis- und Beweismitteln zu ermitteln und bei der Anwendung des § 173 AO wie Tatsachen zu behandeln.[4]

Zu präjudiziellen Rechtsverhältnissen vgl. Rz. 51ff.

 

Rz. 22

Eine neue, abweichende rechtliche Wertung oder Rechtsauffassung der Finanzbehörde aufgrund unverändert gebliebener Tatsachen rechtfertigt keine Anwendung des § 173 AO.[5] Rechtsansichten, Wertvorstellungen, eine Bewertung oder ein Wert (gemeiner Wert, Teilwert) sind keine Tatsachen, sondern Schlussfolgerungen aus Tatsachen. Ein Wert ist z. B. eine Schlussfolgerung aus wertbegründenden bzw. wertbildenden Eigenschaften.[6] Tatsachen können jedoch diese wertbildenden Eigenschaften sein, wenn sie in der Beschaffenheit des Gegenstands ihren Grund haben.[7] Wertbildende Faktoren sind z. B. Größe, Lage, Erschließungssituation und Bebaubarkeit eines Grundstücks, Beschaffenheit des Materials eines Wirtschaftsguts, z. B. Edelmetall, Alter und Erhaltungszustand, technische Leistung einer Maschine usw. Planungsschritte einer Gemeinde, um Flächen als Bauland auszuweisen, sind ebenfalls wertbildende Faktoren i. d. S..[8] Ebenso ist es keine Tatsache, sondern Rechtsauslegung, dass eine Einzahlung in eine Direktversicherung aus einer Abfindungszahlung und nicht aus dem laufenden Arbeitslohn gezahlt wurde.[9]

 

Rz. 23

Keine Tatsachen sind auch eine Änderung der Rspr. des BFH oder eines FG[10] oder eine neue Verfügung einer OFD.[11]

Keine Tatsachen sind auch die betragsmäßigen Ergebnisse einer Außenprüfung; hierbei handelt es sich um Rechtsansichten, die aus Tatsachen abgeleitet sind. Tatsachen sind nur die Sachverhalte, aus denen sich diese betragsmäßigen Ergebnisse ableiten.[12]

 

Rz. 24

Keine Tatsache ist auch, dass eine Rechtsnorm oder ihre Auslegung verfassungswidrig ist bzw. vom BVerfG für verfassungswidrig erklärt wird. Hierbei handelt es sich um eine rechtliche Beurteilung des BVerfG, nicht um eine (neue) Tatsache.[13] Dementsprechend ist auch die Feststellung des Vollzugsdefizits einer Norm und die daraus resultierende Verfassungswidrigkeit keine Tatsache, sondern Rechtsauslegung.[14] Gleiches gilt für die Feststellung des BVerfG, dass eine Norm der Verfassung entspricht. Ist eine Norm vom BVerfG für verfassungswidrig erklärt worden, richten sich die Rechtsfolgen dieser Entscheidung ausschließlich nach § 79 Abs. 2 BVerfGG, nicht nach § 173 AO. Auch wenn eine solche Entscheidung bei Erlass des Steuerbescheids bereits vorlag, dies dem FA aber unbekannt war und daher die nichtige Norm noch angewandt wurde, ist der Steuerbescheid aus Rechtsgründen anfechtbar, jedoch nicht nach § 173 AO änderbar. § 165 Abs. 1 AO gibt eine Rechtsgrundlage, um die Steuerfestsetzung in diesen Fällen offenzuhalten.

 

Rz. 25

Entsprechend ist eine rückwirkende Gesetzesänderung keine "Tatsache" i. S. d. § 173 AO.[15]

 

Rz. 26

Von Tatsachen kann nur gesprochen werden, wenn sie objektiv vorhanden sind und daher zu ihrer Feststellung die vom Gesetz zugelassenen Bewe...

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