Rz. 75

§ 170 Abs. 6 AO[1] enthält eine besondere Anlaufhemmung für die Besteuerung von Kapitalerträgen, die aus dem Ausland stammen. Diese Anlaufhemmung greift nach Art. 97 § 10 Abs. 13 EGAO für alle Festsetzungsfristen ein, die nach dem 31.12.2014 beginnen. Nach Abs. 1 beginnt die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist. Da Abs. 6 die Steuer auf ausländische Kapitalerträge betrifft, ist die maßgebende Steuer die ESt und KSt. Die Steuer entsteht nach § 36 Abs. 1 EStG, § 30 KStG mit Ablauf des Veranlagungszeitraums (Kalenderjahrs). Nach dem 31.12.2014 beginnt die Festsetzungsfrist daher für Kapitalerträge, die ab dem Kj. 2015 bezogen werden.

Gleichzeitig wurde der bisherige Abs. 6 mit einer Anlaufhemmung für die WechselSt aufgehoben. Da das WechselStG mit Wirkung zum 1.1.1990 aufgehoben worden war, war die Vorschrift gegenstandslos.

 

Rz. 76

Die besondere Anlaufhemmung des Abs. 6 bezieht sich auf die ESt oder KSt auf Kapitalerträge. Auf die GewSt ist die Vorschrift nur mittelbar über § 35b GewStG anwendbar. Erbschaft- und Schenkungsteuer werden nicht erfasst.[2] Kapitalerträge unterliegen im Quellenstaat regelmäßig der Abzugsteuer. Andere ausländische Einkünfte, die einer Abzugsteuer unterliegen, werden durch die Vorschrift nicht erfasst. Für die Bestimmung des sachlichen Umfangs der Regelung verweist das Gesetz auf den Begriff der "Kapitalerträge", dagegen nicht unmittelbar auf die "Kapitaleinkünfte" nach § 20 EStG. Man wird für den Begriff der Kapitalerträge auf § 43 Abs. 1 EStG zurückgreifen können, der mittelbar wieder auf § 20 EStG verweist. Dadurch wird auch die Verbindung der verlängerten Anlaufhemmung zu der KapESt hergestellt. "Kapitalerträge" nach § 170 Abs. 6 AO sind daher die in § 20 Abs. 1 Nr. 1, 2, 4, 6, 7, 9 und 10 EStG sowie in § 20 Abs. 2 Nr. 1, 2, 3, 7 und 8 EStG aufgeführten Erträge. Im Wesentlichen ausgeschlossen werden dadurch die Erträge nach § 20 Abs. 1 Nr. 5 EStG (Zinsen aus Hypotheken und Grundschulden, Renten aus Rentenschulden) und § 20 Abs. 1 Nr. 8 EStG (Diskontbeträge bei Wechseln). Einkünfte aus § 23 EStG fallen nicht unter die Vorschrift, doch dürften diese ohnehin bereits Kapitalerträge nach §§ 43, 20 EStG sein. Ebenso wie § 43 EStG, der auf § 20 EStG nur hinsichtlich des Begriffs der Kapitaleinkünfte Bezug nimmt, nicht aber hinsichtlich der Zuordnung zu einer bestimmten Einkunftsart, greift auch § 170 Abs. 6 AO unabhängig davon ein, ob die Kapitalerträge zu Einkünften nach § 20 EStG oder zu betrieblichen Einkunftsarten gehören.[3]

 

Rz. 77

Die Regelung bezieht sich nur auf Kapitalerträge aus Drittstaaten, und auch dann nur auf Erträge aus solchen Staaten, mit denen kein automatischer Auskunftsverkehr für die Kapitalerträge vereinbart worden ist. Ausgenommen von der Regelung sind nach Abs. 6 Nr. 1 Kapitalerträge, die aus den Mitgliedsstaaten der EU und der Europäischen Freihandelsassoziation stammen. Da das Gesetz die Europäische Freihandelsassoziation (EFTA) in Bezug nimmt, nicht den EWR, ist neben Norwegen, Island und Liechtenstein auch die Schweiz aus der Geltung des Abs. 6 ausgeschlossen. Abs. 6 ist danach auf EU- und EFTA-Staaten auch dann nicht anwendbar, wenn kein automatischer Auskunftsverkehr erfolgt. Das Gesetz ist nur auf Drittstaaten anwendbar, nimmt also EU- und EFTA-Staaten ohne weitere Voraussetzungen, und damit auch ohne die Voraussetzung der Nr. 2, aus der Regelung aus. Das Vereinigte Königreich (Großbritannien und Nordirland) ist gegenwärtig weder Mitglied der EU noch der EFTA, sodass Kapitalerträge aus diesem Staat unter Abs. 6 Nr. 1 fallen, jedoch greift die Ausnahme der Nr. 2 ein (hierzu Rz. 80f.).

 

Rz. 78

Ausgeschlossen aus der Anlaufhemmung des Abs. 6 sind nicht nur Erträge, die aus den EU- und EFTA-Staaten stammen, sondern auch solche, die aus "Territorien" stammen. Damit sind Gebiete gemeint, die selbst keine selbstständigen Staaten sind, sondern mit mehr oder weniger großer Selbstständigkeit zu einem Staat gehören. Ausgeschlossen sind aber nur solche Territorien, die selbst zu der EU oder der EFTA gehören. Für Kapitalerträge, die aus Territorien stammen, die nicht zur EU oder zur EFTA gehören, gilt die Anlaufhemmung des Abs. 6 daher, auch wenn die Staaten, zu denen sie gehören, Mitglieder der EU oder der EFTA sind. Dies betrifft beispielsweise die Niederländischen Antillen, die Faröer-Inseln und Grönland. Die früher hier erfassten Gebiete des Vereinigten Königreichs wie die Kanalinseln und Gibraltar sind ohnehin Drittstaaten, da das Vereinigte Königreich nicht mehr Mitglied der EU und der EFTA ist. Andererseits sind Territorien, die in die EU oder EFTA einbezogen sind, von der Geltung des Abs. 6 ausgenommen. Das betrifft etwa die überseeischen Departements Frankreichs. Diese Territorien sind von der Geltung des Abs. 6 auch dann ausgeschlossen, wenn mit ihnen kein automatischer Auskunftsverkehr besteht.[4]

 

Rz. 79

In Betracht kommt die Anlaufhemmung somit für Staaten und Territorien, die nicht zur EU oder EFTA gehören, so...

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