Rz. 3

Die Vorschrift gehört zu dem Bereich der Regelungen über die Steuerfestsetzung und ist daher im 3. Abschnitt richtig eingeordnet. Sie bildet, ebenso wie § 164 AO, eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass das Steuerfestsetzungsverfahren auf die endgültige und bindende Entscheidung über den Steueranspruch gerichtet ist.[1] Das nach § 155 AO im Grundsatz einheitliche Verfahren (einheitliche bindende Entscheidung über den Steueranspruch) wird durch § 165 AO in 2 Stufen aufgeteilt, in die vorläufige Entscheidung und später in die endgültige Entscheidung (Änderung der Steuerfestsetzung oder Aufhebung der Vorläufigkeit).

 

Rz. 4

§ 165 AO ist abzugrenzen von § 164 AO, der ebenfalls eine nicht endgültige Steuerfestsetzung ermöglicht. Ein wesentlicher Unterschied in der Konzeption beider Vorschriften besteht darin, dass bei § 165 AO eine gegenwärtig nicht zu klärende Unsicherheit besteht, die später geklärt werden muss; die Klärung wird also (notgedrungen) in die Zukunft verlagert. Bei § 164 AO besteht nicht ein gegenwärtig nicht zu befriedigender Klärungsbedarf, sondern die Prüfung wird lediglich aus Zweckmäßigkeitsgründen vorbehalten; sie wäre sofort möglich. Bei § 164 AO braucht diese Prüfung letztlich nicht zu erfolgen; der Vorbehalt entfällt mit Ablauf der Festsetzungsfrist. Bei § 165 AO muss eine Klärung erfolgen; die Festsetzungsfrist läuft nach § 171 Abs. 8 AO nicht ab, bevor die Klärung erfolgt ist. Eng damit zusammen hängt der Umfang der Nichtendgültigkeit. Bei § 165 AO ergreift die Vorläufigkeit punktuell nur denjenigen Bereich, der nicht geklärt werden kann. Bei § 164 AO wird die ganze Prüfung aufgeschoben, der Vorbehalt erfasst also den ganzen sachlichen Regelungsbereich der Steuerfestsetzung. Ebenfalls hieraus zu erklären ist, dass die Vorläufigkeit nach § 165 AO auch nach einer Außenprüfung bestehen bleiben kann, der Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 AO dagegen nicht.

 

Rz. 5

Da beide Vorschriften unterschiedliche Zwecke verfolgen, kann die vorläufige Steuerfestsetzung mit der Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung verbunden werden.[2]

 

Rz. 6

Im Verhältnis zu den Änderungsmöglichkeiten nach §§ 172ff. AO besteht kein Ausschließlichkeitsverhältnis. Das bedeutet, dass ein Steuerbescheid, der nach § 165 AO vorläufig ist, trotzdem nach §§ 172ff. AO geändert werden kann, wenn die Voraussetzungen dieser Tatbestände vorliegen. I. d. R. wird im Rahmen des Regelungsbereichs des § 165 AO ein Heranziehen der §§ 172ff. AO nicht zweckmäßig sein, weil im Rahmen der Vorläufigkeit die Änderung nach § 165 Abs. 2 AO ohne besondere Voraussetzungen möglich ist. Insbesondere wegen des unterschiedlichen Laufs der Festsetzungsfrist kann aber eine Änderung nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO wegen eines rückwirkenden Ereignisses notwendig sein. Nach § 171 Abs. 8 AO tritt bei Vorläufigkeit nur eine Ablaufhemmung von einem bzw. 2 Jahren ab dem Zeitpunkt ein, an dem die Ungewissheit beseitigt ist und die Finanzbehörde hiervon Kenntnis erhalten hat. Demgegenüber beginnt bei einem rückwirkenden Ereignis die Festsetzungsfrist nach § 175 Abs. 1 S. 2 AO erst mit Eintritt dieses Ereignisses zu laufen und beträgt dann mindestens 4 Jahre ab Eintritt des rückwirkenden Ereignisses. Liegt im Zusammenhang mit der Beseitigung der Ungewissheit auch ein rückwirkendes Ereignis vor, kann die Steuerfestsetzung sowohl nach § 165 Abs. 2 AO als auch nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO geändert werden. § 165 Abs. 2 AO schließt daher § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO nicht aus.[3]

 

Rz. 7

Systematisch schwierig einzuordnen ist die nach dem Wortlaut des § 165 AO zulässige Möglichkeit, eine Steuer, deren Voraussetzungen ungewiss sind, in die Steuerfestsetzung einzubeziehen, d. h., eine Steuer festzusetzen, von der ungewiss ist, ob sie entstanden ist. Abs. 1 formuliert ausdrücklich, dass eine Steuer, bei der ungewiss ist, ob die Voraussetzungen für ihre Entstehung eingetreten sind, vorläufig festgesetzt werden kann. Es ist problematisch, an ungewisse tatsächliche Voraussetzungen eine – wenn auch nur vorläufige – Steuer zu knüpfen. Jedoch ist der Wortlaut des § 165 AO eindeutig und muss als gesetzlich vorgesehene Abweichung von dem Grundsatz angesehen werden, dass nur tatsächlich entstandene Steuern festzusetzen sind. Dem berechtigten Anliegen des Stpfl., nicht mit einer Steuer belastet zu werden, die u. U. nicht entstanden ist, hat die Finanzverwaltung im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung[4] Rechnung zu tragen. Es ist i. d. R. ermessensfehlerfrei, wenn eine Steuer ohne Berücksichtigung von steuermindernden Umständen festgesetzt wird, deren Vorhandensein ungewiss ist (Betriebsausgaben. Werbungskosten, Verluste, wenn die Einkunftserzielungsabsicht fraglich ist). Insoweit trägt der Stpfl. die objektive Beweislast, sodass er die vorläufige Festsetzung der ungewissen Steuer hinnehmen muss. Ist andererseits die Steuerbarkeit oder die Zuordnung von Besteuerungsgrundlagen zu dem Stpfl. ungewiss, so wird i. d. R. eine Aussetzung der Steuerfestsetzung, ggf. gegen Sicherheitsleistung, in B...

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