Rz. 220

Die Ausübung des Ermessens kann für gleich gelagerte Fälle im Interesse einheitlicher Ermessensausübung durch Richtlinien geregelt werden. Als Verwaltungsvorschriften binden diese Richtlinien zwar die Verwaltung, haben Außenwirkung aber nur im Rahmen der Selbstbindung. Über die auf dem Gleichheitssatz, Art. 3 GG, beruhende Selbstbindung der Verwaltung für die Ermessensausübung haben die Ermessensrichtlinien auch für die Entscheidungen der FG Bedeutung. Die FÄ haben sich bei ihrer Ermessensentscheidung im Rahmen der in der Ermessensrichtlinie festgelegten Ermessenserwägungen zu halten. Insoweit tritt eine Ermessensreduzierung auf Null ein.[1] Richtlinien des Bundes über Billigkeitsmaßnahmen bei Steuern, deren Verwaltung den Ländern zusteht, bedürfen nach Art. 108 Abs. 7 GG der Zustimmung des Bundesrats.

 

Rz. 221

Zwar enthält die AO keine ausdrückliche Ermächtigung zum Erlass von Billigkeitsrichtlinien[2], doch gehört der Erlass solcher Richtlinien als Maßnahme zur gleichmäßigen Ausübung des Ermessens durch die Verwaltung auch ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung zur Kompetenz der Verwaltung.[3]

 

Rz. 222

Auch Billigkeitsrichtlinien dürfen jedoch nur im Rahmen einer Ermessensentscheidung eine vom gesetzlichen Zweck einer Vorschrift nicht gedeckte Folge der strengen Anwendung des Gesetzes beseitigen[4] oder eine persönliche Unbilligkeit ausgleichen.[5] Die Billigkeitsrichtlinie darf nicht eine bewusste Wertentscheidung des Gesetzes korrigieren.[6]

 

Rz. 223

Auch wenn die Billigkeitsrichtlinie eine Vielzahl von Einzelfällen erfasst, ist sie in dem jeweiligen Einzelfall nur anwendbar, wenn die Richtlinie auch in ihrer Auswirkung auf den Einzelfall Recht und Billigkeit entspricht.[7] Eine Billigkeitsrichtlinie darf daher nicht eine generelle, vom Einzelfall absehende Regelung schaffen. Dies bleibt dem Gesetzgeber vorbehalten. Eine Billigkeitsregelung, die ohne Rücksicht auf den Einzelfall eine generelle Regelung trifft, ist mangels einer Rechtsgrundlage unwirksam.[8]

Wesentliche Anwendungsbereiche der Billigkeitsrichtlinien sind die sog. Anpassungsregelungen[9] sowie allgemeine Billigkeitsmaßnahmen in besonderen Situationen.[10] Eine Billigkeitsrichtlinie ist auch R 10.7 Abs. 1 S. 1 EStR, wonach Mitglieder von Religionsgemeinschaften, die Körperschaften öffentlichen Rechts sind, die aber keine KiSt erheben, Beiträge zu diesen Religionsgemeinschaften wie KiSt als Sonderausgaben abziehen können.[11]

 

Rz. 224

Bei den Billigkeitsrichtlinien handelt es sich um Richtlinien zur Anwendung des Ermessens. Daher darf das FG die Billigkeitsregelung der Verwaltung nicht auslegen oder so anwenden, wie es diese Regelung verstehen möchte, sondern muss sie so anwenden, wie die Finanzverwaltung sie versteht und verstanden wissen will. Das FG darf nur prüfen, ob die Auslegung durch die Finanzbehörde angesichts des Wortlauts der Verwaltungsanweisung möglich ist und ob sich die Finanzbehörde an die Richtlinie gehalten hat.[12]

[2] Anders noch § 131 Abs. 2 RAO.
[4] Sachliche Unbilligkeit; vgl. FG Köln v. 26.3.1981, XI/VI 28/79 GE, EFG 1982, 39; vgl. Rz. 36ff.
[5] Vgl. Rz. 169ff.; die persönliche Unbilligkeit mit der starken Beziehung auf die jeweiligen persönlichen Verhältnisse dürfte sich jedoch regelmäßig einer Regelung durch Richtlinien entziehen.
[6] FG Hamburg v. 31.10.1980, IV 51/77 N, EFG 1981, 274.
[8] BFH v. 28.11.2016, GrS 1/15, BStBl II 2017, 393, BFH/NV 2017, 498 zum Sanierungserlass.
[9] Vgl. Rz. 107ff.
[10] Z. B. Billigkeitsrichtlinien bei Naturkatastrophen.

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