Rz. 137

Nach dem durch Gesetz v. 20.8.1980[1] eingefügten Abs. 5 (früher: Abs. 3) ist eine Schätzung auch zulässig, wenn in Anwendung des § 155 Abs. 2 AO[2] der Folgebescheid vor dem Grundlagenbescheid ergeht. Geschätzt werden beim Erlass des Folgebescheids die in den Folgebescheid zu übernehmenden Besteuerungsgrundlagen des noch nicht ergangenen Grundlagenbescheids. Diese Regelung ist auch anzuwenden, wenn der Folgebescheid vor Inkrafttreten der Gesetzesänderung erlassen wurde.[3]

 

Rz. 138

Dem Zweck der Vorschrift in Zusammenhang mit § 155 Abs. 2 AO entsprechend steht die Schätzungsbefugnis dem für den Erlass des Folgebescheids zuständigen FA zu, nicht der für den Grundlagenbescheid zuständigen Finanzbehörde. Zur Beschleunigung der Steuerfestsetzung soll nämlich das für den Folgebescheid zuständige FA nicht auf die Entscheidung über den Grundlagenbescheid warten müssen, sondern selbst, wenn auch nicht endgültig, entscheiden können. Es handelt sich also nicht um eine vorläufige Feststellung, sondern um den Ansatz von (noch) nicht festgestellten Besteuerungsgrundlagen im Folgebescheid. Das hat durch das für den Folgebescheid zuständige FA zu geschehen.[4] Der Schätzungsbefugnis des Abs. 5 unterliegen aber nicht alle in einem Grundlagenbescheid festzustellenden Besteuerungsgrundlagen, sondern nur diejenigen, die überhaupt geschätzt werden können, also numerische Besteuerungsgrundlagen.[5] Nicht geschätzt werden kann z. B. hinsichtlich der Frage, ob der Stpfl. überhaupt an den festzustellenden Besteuerungsgrundlagen beteiligt ist, sowie die Zurechnung der Besteuerungsgrundlagen.

 

Rz. 139

Der Sache nach enthält Abs. 5 eine Erweiterung der Schätzungsmöglichkeiten. Die Zulässigkeit der Schätzung ist danach nämlich nicht davon abhängig, dass die Besteuerungsgrundlagen mit zumutbarem Aufwand nicht ermittelt werden können, sondern nur davon, dass der Folgebescheid vor Ergehen des Grundlagenbescheids erlassen werden soll.[6] Trotzdem gilt aber auch hier das Prinzip, dass das Ergebnis der Schätzung den Tatsachen soweit wie möglich entsprechen muss. Die Finanzbehörde darf also bei Erlass des Folgebescheids nicht einfach den für den Stpfl. ungünstigsten Fall unterstellen[7], sondern hat eigene Ermittlungen anzustellen. Andererseits darf der Sinn der Regelung des Abs. 5 auch nicht dadurch infrage gestellt werden, dass bei Erlass des Folgebescheids mit der gleichen Intensität zu prüfen wäre wie bei Erlass des Grundlagenbescheids; dann könnte bereits der Grundlagenbescheid ergehen. Das für den Folgebescheid zuständige FA wird also regelmäßig die Erklärung zum Grundlagenbescheid zur Einsicht anfordern sowie bei dem für den Grundlagenbescheid zuständigen FA den gegenwärtigen Stand der Ermittlungen erfragen müssen.

Auf dieser Grundlage muss das FA beim Erlass des Folgebescheids dann versuchen, durch Schätzung dasjenige Ergebnis zu treffen, das nach dem gegenwärtigen Verfahrensstand als das wahrscheinlichste erscheint.[8] Eine bloße Übernahme der in der Feststellungserklärung enthaltenen Besteuerungsgrundlagen wäre keine Schätzung. Eine Schätzung, die in eigener Verantwortung der Finanzbehörde erfolgt, ist aber etwas anderes als die ungeprüfte Übernahme der Erklärung des Stpfl.

 

Rz. 140

Abs. 5 greift nur in den Fällen des § 155 Abs. 2 AO ein, d. h. dann, wenn ein Grundlagenbescheid noch nicht erlassen wurde. Die Schätzungsbefugnis des für den Folgebescheid zuständigen FA besteht demgemäß nicht, wenn bereits ein Feststellungsbescheid vorliegt, und zwar auch dann nicht, wenn dieser Feststellungsbescheid unter dem Vorbehalt der Nachprüfung bzw. vorläufig ergangen ist und bekannt ist, dass die in ihm festgestellten Besteuerungsgrundlagen geändert werden müssen. Auch in diesem Fall sind die, wenn auch noch nicht endgültig, festgestellten Besteuerungsgrundlagen im Folgebescheid nach § 182 Abs. 1 AO anzusetzen. Ergeht der endgültige Feststellungsbescheid, ist der Folgebescheid nach § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO zu ändern.

 

Rz. 141

Verfahrensrechtlich ist die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen im Folgebescheid nach § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO zu ändern, wenn der Grundlagenbescheid ergangen ist. Das gilt auch, wenn das FeststellungsFA den Erlass des Grundlagenbescheids endgültig ablehnt. In diesem Fall ist die vorläufige Schätzung der Besteuerungsgrundlagen im Folgebescheid durch eine endgültige Ermittlung und Festsetzung im Folgebescheid zu ersetzen. Auch diese Änderung des Folgebescheids erfolgt nach § 173 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO.

[1] BStBl I 1980, 589; vgl. Graf von Carmer, DB 1982, 2209.
[4] Rößler, DStR 1983, 78.
[5] Vgl. Rz. 13.
[6] Zur Problematik dieser Regelung vgl. Roggan, BB 1982, 111; vgl. auch § 182 AO Rz. 13ff.
[7] Z. B. den Ansatz geltend gemachter Verluste ausschließen; vgl. BFH v. 24.2.1981, VIII B 14/78, BStBl II 1981, 416.
[8] A. A. FG Rheinland-Pfalz v. 24.9.1980, 1 K 166/80, EFG 1981, 2; FG Münster v. 17.4.1986, XII 7739 /85 V, EFG 1987, 3; Rößler, DStR 1...

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