Rz. 28

Besonders wichtig ist eine Schätzung nach § 162 Abs. 2 S. 2 AO in Fällen, in denen der Stpfl. steuerrechtlich vorgeschriebene Bücher und Aufzeichnungen nicht vorlegen kann oder seiner Buchführung nach § 158 AO die Beweiskraft zu versagen ist.[1] Aus welchen Gründen die gesetzlich vorgeschriebenen Bücher und Aufzeichnungen nicht vorgelegt werden können, ist für die Zulässigkeit der Schätzung, anders als für ihre Höhe, unbeachtlich. Es braucht also kein Verschulden des Stpfl. vorzuliegen.[2] Daher kann auch eine Schätzung erfolgen, wenn die Buchführungsunterlagen durch einen nicht durch den Stpfl. verschuldeten Verlust, wie Hochwasser, Feuer o. ä. Naturereignisse oder infolge Diebstahls nicht vorgelegt werden können.[3]

 

Rz. 29

Hinsichtlich der Folgen einer fehlerhaften Buchführung ist zu unterscheiden zwischen dem Fall, dass die Buchführung formell ordnungsmäßig ist, also der Besteuerung nach § 158 AO grundsätzlich zugrunde zu legen ist, und dem Fall, dass die Buchführung formell ordnungswidrig, § 158 AO also nicht anzuwenden ist.

 

Rz. 30

Grundsätzlich ist von dem Ergebnis der Buchführung auszugehen, wenn die Voraussetzungen des § 158 AO erfüllt sind.[4] Auch dann kann die Behörde aber dartun, dass die formell ordnungsmäßige Buchführung sachlich unrichtig ist. Da Ausgangspunkt aber die formell ordnungsmäßige Buchführung sein soll, muss unter Anlegung strenger Maßstäbe dargetan werden, dass das Ergebnis der Buchführung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht richtig sein kann. Die objektive Beweislast hierfür trägt das FA.[5] Nachweis der Unrichtigkeit der Buchführung, und damit Anlass für eine Schätzung, kann sein, dass das Ergebnis der Buchführung nach der allgemeinen Lebenserfahrung gänzlich unwahrscheinlich oder das Zahlenwerk in sich widerspruchsvoll ist. Geldverkehrsrechnung, Vermögenszuwachsrechnung und Nachkalkulation sind grundsätzlich geeignete Methoden, die Beweiskraft einer formell ordnungsmäßigen Buchführung zu erschüttern.[6] Diese Methoden leiten das Ergebnis aus den Verhältnissen des geprüften Stpfl. ab und sind daher beweiskräftig.

 

Rz. 31

Zum Richtsatzvergleich, der zum Vergleich die Ergebnisse anderer Stpfl. heranzieht und daher nur Indizwirkung hat, vgl. Rz. 32. Zu den Methoden (Verprobung, Betriebsvergleich, Vermögenszuwachsrechnung, Geldverkehrsrechnung) im Einzelnen vgl. Vor §§ 193–203 AO Rz. 48ff. Der bloße Nachweis, das Buchführungsergebnis des Stpfl. weiche von den Richtsätzen ab, ist für eine Verwerfung der formell ordnungsmäßigen Buchführung nicht ausreichend. Die Finanzbehörde muss, wenn der Stpfl. die materielle Unrichtigkeit der Buchführung nicht einräumt, konkrete Hinweise auf die Unrichtigkeit des Buchführungsergebnisses vorlegen.[7] Die Finanzbehörde muss vor der Schätzung den Versuch machen, die Ursachen für das unwahrscheinliche Ergebnis aufzudecken, also nach Besonderheiten in den Verhältnissen des Stpfl. suchen, die das Ergebnis wahrscheinlicher machen.[8]

 

Rz. 32

Durch die Verprobung, zu der auch ein Richtsatzvergleich gehört, kann die Beweiskraft einer formell ordnungsgemäßen Buchführung nur erschüttert werden, wenn sie zu gewichtigen Abweichungen von dem Buchführungsergebnis führt. Die Verprobung als Methode der Schätzung enthält einen Unsicherheitsfaktor, der zwar zulasten des Stpfl. ausschlagen darf, wenn er durch Nichterfüllung seiner Pflichten die Schätzung veranlasst hat, aber nicht, wenn die Buchführung formell ordnungsmäßig ist und durch die Verprobung die Berechtigung zur Schätzung dem Grunde nach nachgewiesen werden soll. Dann hat die Schätzung zu unterbleiben, wenn sich die Abweichung des Ergebnisses der Verprobung vom Buchführungsergebnis im Unschärfebereich der Schätzung hält.[9]

Wann die Abweichung des Ergebnisses der Verprobung von dem Buchführungsergebnis gewichtig genug ist, um das Ergebnis der formell ordnungsmäßigen Buchführung verwerfen und durch Hinzuschätzung korrigieren zu können, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Dabei ist eine Abweichung bei Anwendung des inneren Betriebsvergleichs eher gewichtig als bei einem äußeren Betriebsvergleich. Einem äußeren Betriebsvergleich haftet ein starkes Unsicherheitsmoment an, da kaum ein Betrieb einem anderen gleicht; in der erforderlichen Generalisierung liegen Fehlerquellen, die beim Ergebnisvergleich berücksichtigt werden müssen. Der innere Betriebsvergleich, der die Zahlen des infrage stehenden Betriebs verwendet, ist demgegenüber exakter und vermeidet die Fehlerquellen des äußeren Betriebsvergleichs. Die ältere Rspr. hatte hieraus den Schluss gezogen, dass beim äußeren Betriebsvergleich erst Abweichungen von 10 % des Umsatzes oder Gewinns des Betriebs gewichtig genug sind, um eine Hinzuschätzung zu rechtfertigen, während beim inneren Betriebsvergleich die Grenze der Wesentlichkeit bereits bei 3 % liege.[10] Der BFH[11] hat Zweifel daran geäußert, ob feste Prozentgrenzen zu angemessenen Lösungen führten. Es sei jeweils im Einzelfall zu prüfen, ob die Abweichungen noch im Unschärfeberei...

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