Rz. 44

Ein Steuerbescheid ist Folgebescheid, wenn er auf einem anderen Steuerbescheid oder Feststellungsbescheid (Grundlagenbescheid) in der Weise beruht, dass die in dem Grundlagenbescheid bindend festgesetzten Besteuerungsgrundlagen ohne eigene Prüfung in den Folgebescheid zu übernehmen sind.[1] Während das sachliche Verhältnis von Grundlagen- und Folgebescheid durch § 182 Abs. 1 AO in der Weise umfassend geregelt ist, dass der Regelungsgehalt des Grundlagenbescheids für den Folgebescheid bindend ist, kann das zeitliche Verhältnis der beiden Bescheide zueinander fraglich sein. So war die Frage aufgeworfen worden, ob der Folgebescheid zeitlich vor dem Grundlagenbescheid ergehen kann.[2] Bejaht wurde dies aufgrund des Wortlauts des § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO, wonach eine Anpassung des Folgebescheids nach Erlass eines Grundlagenbescheids möglich ist; verneint wurde dies aus der grundsätzlichen Überlegung, dass der Erlass des Folgebescheids nicht möglich ist, solange eine notwendige Voraussetzung (Grundlagenbescheid) fehlt.[3] Da in der Praxis ein Bedürfnis dafür bestand, den Folgebescheid (mit unbestrittenen Besteuerungsgrundlagen) zu erlassen, bevor das u. U. langwierige Verfahren des Erlasses des Grundlagenbescheids abgeschlossen war, ist die Frage des zeitlichen Verhältnisses des Grundlagen- zum Folgebescheid durch eine Gesetzesänderung geklärt worden. Durch Gesetz v. 20.8.1980[4] ist Abs. 2 in § 155 AO eingefügt worden. Danach kann ein Steuerbescheid (und ein sonstiger Folgebescheid, soweit die Vorschriften über Steuerbescheide anwendbar sind) ergehen, bevor ein Grundlagenbescheid erlassen ist.

 

Rz. 45

Der Wortlaut des § 155 Abs. 2 AO ist zu eng; die Regelung gilt nicht nur für Steuerbescheide, sondern für alle Folgebescheide.[5] Die zu enge Fassung des Gesetzes ist eine Folge davon, dass die AO keine Regelung für Grundlagen- und Folgebescheide kennt, sondern nur für Feststellungs- und Steuerbescheide. Es können aber auch andere Bescheide als Steuerbescheide Folgebescheide sein, z. B. Feststellungsbescheide.[6] Da für Feststellungsbescheide aber die Vorschriften über Steuerbescheide entsprechend gelten, ist damit auch die Regelung des Abs. 2 in Bezug genommen, wenn die Feststellungsbescheide Folgebescheide sind. Der Regelungsinhalt des § 155 Abs. 2 AO gilt auch für das Verhältnis von Grundlagen- und Folgebescheide, wenn für den Grundlagenbescheid die Regeln über Steuerbescheide nicht gelten. § 155 Abs. 2 AO trifft eine Regelung nämlich nur hinsichtlich des Folgebescheids, der Steuerbescheid ist und für den § 155 AO daher gilt. Die Vorschrift enthält keine Regelung für den Grundlagenbescheid, für den § 155 AO u. U. nicht gilt. Dies gilt z. B. für die abweichende Festsetzung von Besteuerungsgrundlagen nach § 163 AO, die die Wirkung eines Grundlagenbescheids hat. Die Vorschrift ist auch nicht beschränkt auf Grundlagenbescheide, die von der Finanzbehörde zu erlassen sind. Sie ist vielmehr auch anzuwenden, wenn der Grundlagenbescheid von einer anderen Behörde zu ergehen hat.[7]

 

Rz. 46

Ob die Finanzbehörde von der Möglichkeit des § 155 Abs. 2 AO Gebrauch macht, liegt in ihrem Ermessen.[8] Die Ermessensentscheidung bezieht sich dabei darauf, ob überhaupt der Folgebescheid vor dem Grundlagenbescheid erlassen werden soll, sowie darauf, ob eine Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen oder eine Schätzung erfolgen soll, und auf die Höhe der zu berücksichtigenden Besteuerungsgrundlagen.[9] Die Finanzbehörde hat bei ihrer Entscheidung das fiskalische Interesse an einer schnellen, wenn auch u. U. erst vorläufigen, Steuerfestsetzung bzw. an der Verfahrensvereinfachung gegen das Interesse des Stpfl. abzuwägen. Zu berücksichtigen ist dabei auch, in welcher Weise die noch festzustellenden Besteuerungsgrundlagen berücksichtigt werden. Führen sie zu einer Steuererhöhung, ist das Interesse des Stpfl. mit zu berücksichtigen, nicht zu einer Steuer herangezogen zu werden, die u. U. gar nicht entstanden ist. Führen sie zu einer Steuerminderung, kann ein fiskalisches Interesse daran bestehen, nicht eine Steuerminderung durchzuführen, die u. U. nicht gerechtfertigt ist. Das FA muss diese unterschiedlichen eigenen Interessen und Interessen des Stpfl. bei seiner Ermessensentscheidung berücksichtigen.[10] Bei der Ermessensentscheidung kann die Finanzbehörde auch berücksichtigen, ob und in welchem Umfang bei ihr Sachkenntnis hinsichtlich der zu ermittelnden oder zu schätzenden Besteuerungsgrundlagen vorhanden ist. Sie kann im Rahmen ihres Ermessens auch entscheiden, dass die Besteuerungsgrundlagen mangels eigener Sachkenntnis bzw. der Schwierigkeit der Ermittlung oder Schätzung auch unter Berücksichtigung der Interessen des Stpfl. vor Ergehen des Grundlagenbescheids nicht berücksichtigt werden soll.[11]

 

Rz. 47

Das FA, das für den Folgebescheid zuständig ist, hat die Besteuerungsgrundlagen, auf die § 155 Abs. 2 AO anzuwenden ist, zu ermitteln und erforderlichenfalls zu schätzen.[12] Dem Wohnsitz-FA fehlt hierzu nicht etwa die Kompetenz, solange das...

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