Rz. 5

Die Kennzeichen dienen dazu, von der Finanzverwaltung als "aggressiv" empfundene Steuergestaltungen von anderen angemessenen Steuerplanungsmodellen abzugrenzen. Angesichts der Dynamik der Entwicklung aggressiver Steuerplanungsmodelle, deren Komplexität und deren ständiger Anpassung an sich ändernde rechtliche und wirtschaftliche Verhältnisse hat die EU-Amtshilferichtlinie davon abgesehen, die unerwünschten Steuerplanungsmodelle konkret zu definieren. Dies hätte die Gefahr heraufbeschworen, dass diese Definitionen hinter der Entwicklung der Steuerplanungsmodelle ständig zurückbleiben und daher ihren Zweck, die Finanzverwaltungen frühzeitig über diese Entwicklungen zu informieren, verfehlen würden. Die EU-Amtshilferichtlinie und ihr folgend § 138e Abs. 1, 2 AO ist daher den Weg gegangen, bestimmte abstrakte Kennzeichen zu definieren, die ein widerlegbares[1] oder unwiderlegbares[2] Indiz für das Vorliegen einer aggressiven und daher meldepflichtigen Steuergestaltung darstellen. Die Absicht des Richtlinien- bzw. Gesetzgebers besteht darin, mit diesen Kennzeichen Merkmale zu schaffen, mit denen auch künftig erst entwickelte Steuergestaltungsmodelle angemessen erfasst werden können.[3] Es ist allerdings zu betonen, dass mit den Kennzeichen kein Indiz verbunden ist, dass die Gestaltung illegal ist. Dies ist auch nicht der Zweck der Kennzeichen. Sie sollen vielmehr die Finanzverwaltung frühzeitig über die in der Praxis angewandten Steuerplanungstechniken informieren, damit diese prüfen kann, ob gesetzgeberische Maßnahmen notwendig oder angemessen sind.

 

Rz. 6

Mit den abstrakten und objektivierten, vom Einzelfall losgelösten Kennzeichen ist allerdings der Nachteil verbunden, dass die Tatbestandsmerkmale einer grenzüberschreitenden Steuergestaltung nur abstrakt durch auslegungsbedürftige Begriffe definiert werden können. Die Kennzeichen erfordern daher eine umfangreiche Auslegung, deren Ergebnisse streitanfällig sind und den Intermediär bzw. Stpfl. in vielen Fällen ohne sichere Kenntnisse dessen lassen, was anzeigepflichtig ist und was nicht. Dies ist umso bedenklicher, als die Nichterfüllung der Anzeigepflicht nach § 379 Abs. 2 Nr. 1e1g AO als Ordnungswidrigkeit mit Bußgeld belegt ist.

 

Rz. 7

Die Kennzeichen des § 138e Abs. 1 AO führen zu Mitteilungspflichten, die über die Steuererklärungspflicht der §§ 149 ff. AO hinausgehen. Sie sind konstitutiv, da ohne diese Vorschriften Intermediäre überhaupt keine Mitteilungspflicht träfe. Stpfl. (Nutzer) müssten in den Steuererklärungen nur die Ergebnisse der Steuergestaltungen berichten, nicht aber zeitnah die Steuergestaltungen anzeigen. Andererseits sind die Kennzeichen abschließend. Nur solche grenzüberschreitende Steuergestaltungen brauchen mitgeteilt zu werden, die eines der Kennzeichen des § 138e Abs. 1 AO erfüllen. Diese konstitutive Wirkung betrifft auch die Bußgeldvorschrift des § 379 Abs. 2 Nr. 1e1g AO. Der Bußgeldtatbestand greift nur im Rahmen der Kennzeichen des § 138e Abs. 1 AO ein.

 

Rz. 8

Das Gesetz enthält keine Bestimmungen zur Beweislast. Es gelten daher die allgemeinen Regeln. Den Mitteilungspflichtigen trifft die Obliegenheit, zu prüfen, ob die Voraussetzungen eines der Merkmale erfüllt sind und ihn daher die Mitteilungspflicht trifft. Der Intermediär bzw. der Nutzer ist grundsätzlich selbst dafür verantwortlich, dass er seine steuerlichen Pflichten in vollem Umfang erkennt und erfüllt. Entsteht zwischen Intermediär bzw. Nutzer und der Finanzverwaltung Streit darüber, ob die Voraussetzungen eines der Merkmale erfüllt sind, trifft den möglicherweise Mitteilungspflichtigen die Darlegungslast. In diesem Rahmen muss er die relevanten Details der grenzüberschreitenden Steuergestaltung mitteilen, sodass die Finanzbehörde prüfen kann, ob die Mitteilungspflicht verletzt wurde oder nicht. Dagegen liegt die objektive Beweislast bei der Finanzbehörde. Bei einer Nichtaufklärbarkeit des Sachverhalts, die nicht dem Intermediär oder dem Nutzer zur Last zu legen ist, liegt keine Verletzung der Mitteilungspflicht vor. Allerdings wird eine solche Nichtaufklärbarkeit kaum vorkommen, da Intermediär bzw. Nutzer alle notwendigen Details der Steuergestaltung kennen werden.

[3] Zu den Kennzeichen BMF v. 29.3.2021, IV A 3 – S 0304/19/10006:010, BStBl I 2021, 582; Schnitger/Brink/Welling, IStR 2018, 513, 517; Cloer/Hagemann/van Lück, BB 2019, 2583, 2585ff.; Trageser/Schenk, BB 2019, 2910, 2915ff.; Grotherr, Ubg 2019, 633; Patzner/Nagler, IStR 2019, 402, 404; v. Bredow/Gibis, BB 2019, 1303, 1505; Kirsch/Linn, DB 2020, Beilage zu Heft 22, S. 27; Anissimov, FR 2020, 281; Stöber, BB 2020, 983; Jochimsen/Dietrich, IStR 2020, 241, 529; Reiter, IStR 2020, 481; v. Schweinitz, IStR 2020, 486; Spatscheck/Spilker, DB 2020, 1420; Krüger/Welling, DB 2020, 1190; Grotherr, DStZ 2020, 695; Grotherr, Ubg 2020, 202; Grotherr, Ubg 2020, 532; Kollmann/Schmidt/Althaus, IStR 2020, 135; Nowroth, Der Konzern 2020, 139; Käshammer/Laile/Nolte, DB 2020, 2149; Krüger/...

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