Rz. 13

Ein Verwaltungsakt ist rechtswidrig, wenn das im Zeitpunkt seines Erlasses geltende Recht (objektiv) unrichtig angewandt wurde oder die Behörde bei ihrer Entscheidung von einem falschen Sachverhalt ausgegangen ist und die Entscheidung in diesen Fällen dem Recht widerspricht. Die Rechtsverletzung kann auf einer Verletzung des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts beruhen, auch auf einer späteren Gesetzesänderung mit Rückwirkung. Ein rechtswidriger Verwaltungsakt wird aber durch eine spätere Gesetzesänderung ohne Rückwirkung nicht rechtmäßig; die Tatsache, dass jetzt ein Verwaltungsakt gleichen Inhalts rechtmäßig erlassen werden könnte, ist aber im Rahmen der Ermessensentscheidung (vgl. Rz. 26, 27) zu berücksichtigen.[1]

 

Rz. 14

Auch eine Änderung der Rspr. oder das Auftauchen neuer Tatsachen hat keinen rückwirkenden Einfluss auf die Rechtswidrigkeit oder die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts. Die Rechtswidrigkeit ist objektiv zu bestimmen ohne Rücksicht darauf, ob die Behörde die Tatsachen kennt oder kennen muss oder sich in einem entschuldbaren oder unentschuldbaren Rechtsirrtum befindet. Neue Tatsachen lassen die Rechtmäßigkeit bzw. die Rechtswidrigkeit nur hervortreten, begründen sie aber nicht rückwirkend. Etwas anderes soll nach der Rechtsprechung aber gelten, wenn nachträglich die erforderliche Bescheinigung für die Anrechnung von KapESt auf die Einkommen- bzw. KSt vorgelegt wird.[2] Der Anrechnungsbescheid soll dann nach § 130 Abs. 1 AO geändert werden können. M. E. ist dies unsystematisch, da der ursprüngliche Anrechnungsbescheid zum Zeitpunkt seines Erlasses nicht rechtswidrig war und die Vorlage der Bescheinigung auch kein Ereignis mit steuerlicher Rückwirkung ist und somit nicht auf den Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsakts zurückwirkt. Die Rechtsprechung begründet ihre Auffassung damit, dass es dem Sinn und Zweck des Anrechnungsverfahrens widerspräche, wenn eine nach Erlass der Anrechnungsverfügung eintretende Tatsache (Vorlage der Bescheinigung) außer Betracht gelassen würde. Allerdings bleibt auch bei nachträglicher Vorlage der Bescheinigung der ursprüngliche Verwaltungsakt rechtswidrig, da die Bescheinigung Voraussetzung für die Anrechnung ist. Dieser Fall ist m. E. daher genauso zu behandeln wie ein ursprünglich rechtswidriger Verwaltungsakt, der durch nachträglich eintretende Tatsachen rechtmäßig wird.

 

Rz. 14a

Auch eine Änderung der Rspr. korrigiert nur eine vorherige unrichtige Rspr., stellt also keine Rechtsänderung dar, sondern nur eine Klarstellung der wirklichen, immer schon bestehenden Rechtslage.

Eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse macht ebenfalls einen rechtmäßigen Verwaltungsakt nicht rechtswidrig; möglich ist, dass der Verwaltungsakt durch die Änderung der tatsächlichen Verhältnisse gegenstandslos geworden ist, oder dass ein Widerruf nach § 131 Abs. 2 AO erfolgen kann.

 

Rz. 15

Ändert sich ein zivilrechtlicher Sachverhalt mit rückwirkender Kraft (z. B. durch Anfechtung), so wird der auf den ursprünglichen zivilrechtlichen Verhältnissen beruhende Verwaltungsakt ebenfalls rückwirkend rechtswidrig; er entspricht nicht mehr den (durch Fiktion von Anfang an bestehenden) maßgebenden Verhältnissen. Das gilt nur insoweit, als die zivilrechtliche Rückwirkung auch zu einer steuerrechtlichen Rückwirkung führt. Vgl. das gleich gelagerte Problem bei § 175 Nr. 2 AO, der ebenfalls davon ausgeht, dass ein Steuerbescheid durch rückwirkende Änderung der Verhältnisse rückwirkend rechtswidrig werden kann.[3]

 

Rz. 16

Rechtswidrig muss der Regelungsgehalt des Verwaltungsakts sein; lediglich unrichtige Gründe machen den Verwaltungsakt nicht rechtswidrig, wenn er sich auf andere Gründe stützen lässt.[4] Eine fehlende Begründung macht den Verwaltungsakt zwar rechtswidrig, doch ist der Fehler regelmäßig nach § 127 AO unbeachtlich.

 

Rz. 16a

Die Rücknahme gem. § 130 Abs. 1 AO bezieht sich nicht nur auf den Stpfl. belastende Verwaltungsakte. Auch die Rücknahme deklaratorischer Verwaltungsakte, die den Stpfl. weder belasten noch begünstigen, sondern ausschließlich die Rechtslage bestätigen, fällt unter § 130 Abs. 1 AO. So ist die Rücknahme einer Anrechnungsverfügung als deklaratorischer Verwaltungsakt von § 130 Abs. 1 AO erfasst.[5]

 

Rz. 17

Bei Ermessensentscheidungen kann die Rechtswidrigkeit auf Ermessensüberschreitung oder Ermessensmissbrauch beruhen. Eine Ermessensentscheidung, die sich im gesetzlichen Rahmen hält, ist nicht allein deshalb rechtswidrig, weil die Behörde ihre (rechtmäßigen) Ermessenserwägungen durch andere (ebenfalls rechtmäßige) Erwägungen ersetzen will. Andererseits ist eine Ermessensentscheidung rechtswidrig, bei der die Behörde von einem falschen Sachverhalt ausgeht, auch wenn die Entscheidung auf der Grundlage des richtigen Sachverhalts vertretbar wäre, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Behörde bei Kenntnis des wahren Sachverhalts ihr Ermessen anders ausgeübt hätte.

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