1 Allgemeines

 

Rz. 1

Diese Vorschrift erleichtert die Bekanntgabe von Verwaltungsakten an Stpfl., die im Inland weder ihren Wohnsitz[1] oder gewöhnlichen Aufenthalt[2] noch ihre Geschäftsleitung[3] oder den Sitz[4] haben. In diesen Fällen trifft den Stpfl. nach S. 1 die Obliegenheit, im Inland einen Empfangsbevollmächtigten zu benennen.

Die Vorschrift wurde durch das Dritte Gesetz zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften v. 21.8.2002[5] um eine Regelung für elektronisch übermittelter Verwaltungsakte ergänzt; ferner wurde der bislang verwendete Begriff "Geltungsbereich dieses Gesetzes" durch den Begriff "Inland" ersetzt. Durch das StÄndG 2015[6] wurde S. 1 im Hinblick auf europarechtliche Zweifel dahin ergänzt, dass die Vorschrift bei einem Beteiligten mit Wohnsitz, gewöhnlichem Aufenthalt, Sitz oder Geschäftsleitung in einem Mitgliedstaat der EU oder EWR nicht anwendbar ist. Die Europäische Kommission hielt die bisher nur getroffene Verwaltungsregelung[7] nicht für ausreichend.

 

Rz. 2

Die Verfassungsmäßigkeit des § 123 AO ist zu bejahen. Offen ist, ob die Bekanntgabe nach § 123 AO von der Zustimmung des ausländischen Staates abhängig ist. Z. T. wird eine einfache Bekanntgabe durch Übersendung eines Briefs nicht als Hoheitsakt im ausländischen Staat angesehen, der keiner Zustimmung des ausländischen Staates bedarf.[8] Dem ist m. E. zu folgen.

[5] BGBl I 2002, 3322.
[6] BGBl I 2015, 1834.
[7] U. a. in AEAO zu § 123 AO Nr. 1.
[8] Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 123 AO Rz. 2 m. w. N.

2 Merkmale des § 123 AO

2.1 Benennungsverfahren (S. 1)

 

Rz. 3

Beteiligte i. S. d. § 123 AO sind natürliche oder juristische Personen, Personenvereinigungen und Vermögensmassen, die in Inland, EU oder EWR weder Wohnsitz[1] oder gewöhnlichen Aufenthalt[2] noch Geschäftsleitung[3] oder Sitz[4] haben. Der Beteiligte darf auch objektiv keinen Bezug zum Inland sowie zur EU oder EWR haben.

Das Benennungsverlangen der Behörde ist ein Verwaltungsakt.[5]

Der Erlass des Benennungsverlangens steht im Ermessen[6] der Behörde. Er löst eine entsprechende Verpflichtung zur Benennung (nicht nur eine Obliegenheit) aus. Die Erzwingung der Vorlage nach §§ 328ff. AO ist wegen § 123 S. 2 AO ermessensfehlerhaft. Von der Möglichkeit des § 123 AO ist grds. kein Gebrauch zu machen, soweit ein Verwaltungsakt im Ausland unmittelbar zugestellt oder durch einfachen Brief bekannt gegeben werden kann. § 123 AO kommt aber in Betracht, wenn dem Stpfl. in der Vergangenheit wegen Zugangsverweigerung oder bestrittenem Zugang wiederholt nicht mittels einfachen Briefs oder förmlicher Zustellung bekannt gegeben werden konnten.[7] Das Benennungsverlangen setzt dessen Bekanntgabe voraus. Wendet der Adressat die Nichtbekanntgabe des Benennungsverlangens ein, muss die Behörde den Zugang nach § 122 Abs. 2 2. Halbs. AO[8] nachweisen. Dies kann gem. § 9 Abs. 1 Nr. 1 VwZG durch Einschreiben mir Rückschein erfolgen.[9] Bei unbekanntem Aufenthaltsort verbleibt nur die öffentliche Zustellung gem. § 10 VwZG.

Mit Verschaffung der Datenabrufmöglichkeit tritt die Erfüllung – ggf. auch vor Ablauf der gesetzten Frist – ein.[10]

 

Rz. 4

Hat der Stpfl. keine Empfangsadresse im Inland, EU oder EWR, und muss also im übrigen Ausland bekannt gegeben werden, hat die Finanzbehörde insgesamt drei verschiedene Möglichkeiten:

  • Sie kann nach § 122 Abs. 2 Nr. 2 AO vorgehen.[11] Dieses Verfahren ist einfach, bietet aber der Behörde keinen sicheren Beweis des Zugangs. Der Stpfl. kann durch einfaches Leugnen des Zugangs die Beweislast der Behörde aufbürden, der diese in der Praxis kaum nachkommen kann.
  • Die Behörde kann nach § 123 AO vorgehen. Das Verfahren ist mit der Aufforderung zur Benennung eines inländischen Empfangsbevollmächtigten umständlicher, gibt der Behörde aber eine bessere Verfahrensposition. Nach § 123 AO wird die Beweislast umgekehrt, d. h., der Stpfl. muss beweisen, dass er die Sendung nicht erhalten hat.
  • Schließlich kann die Behörde Zustellung im Ausland, § 9 VwZG und als letztes Mittel die öffentliche Zustellung nach § 10 VwZG, wählen.

Die Finanzbehörde entscheidet nach ihrem eingeschränktem Ermessen gem. § 5 AO,[12] von welcher der drei Möglichkeiten sie Gebrauch macht.

 

Rz. 5

Der Beteiligte muss von der Finanzbehörde aufgefordert werden, einen Empfangsbevollmächtigten zu benennen, bevor die Rechtswirkungen des S. 2 eintreten. Diese Aufforderung kann formlos, mündlich oder schriftlich ergehen. Da die Aufforderung nach § 123 AO Rechtswirkungen gegenüber dem Beteiligten entfaltet, ist sie ein Verwaltungsakt; sie muss daher nach § 124 AO bekanntgegeben werden. Der Betroffene kann hiergegen Einspruch einlegen; geschieht dies nicht, wird sie bestandskräftig, sodass der Betroffene später (nach Eintritt der Bekanntgabewirkung des § 123 S. 2 AO) nicht mehr einwenden kann, die Benennungsaufforderung sei unrechtmäßig gewesen.

Da die Finanzbehörde den Zugang der Aufforderung, einen inländischen Empfangsbevollmächtigten zu benennen, beweisen muss, ist es zweckmäßig, die Aufforderung nach § 122 Abs. 5 AO zuzustellen. Ist ...

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