Rz. 5

Nach Abs. 1 ist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei der Versäumung gesetzlicher Fristen (zu diesem Begriff vgl. § 108 Rz. 4) möglich, nicht dagegen auf die Versäumung behördlicher Fristen anwendbar. Demgegenüber ist es belanglos, ob sich die gesetzliche Frist aus der AO oder einem Einzelsteuergesetz ergibt. Die Vorschrift gilt für alle gesetzlichen Fristen, die versäumt werden können. Eine Beschränkung ist weder auf nicht verlängerbare gesetzliche Fristen noch gar – wie früher bei der Nachsicht des § 86 RAO – auf nur einige nicht verlängerbare gesetzliche Fristen wie die Rechtsbehelfsfristen und rechtsbehelfsähnlichen Fristen vorgesehen. Das hat zur Folge, dass für die nach § 109 Abs. 1 AO verlängerbaren Steuererklärungsfristen[1] sowohl eine Verlängerung als auch die Gewährung der Wiedereinsetzung möglich ist. Dies erscheint auch sinnvoll, da die Fristverlängerung nicht von besonderen gesetzlichen Voraussetzungen abhängig ist, aber im Ermessen der Finanzbehörde liegt, während auf die nur in bestimmten Fällen mögliche Wiedereinsetzung ein Rechtsanspruch besteht[2]. Für die von Mösbauer, in Koch/Scholtz, AO, § 110 Rz. 6 (ebenso Wagner, in Kühn/v. Wedelstädt, AO, § 110 Rz. 5) vertretene Auffassung, dass § 109 als Sondervorschrift dem § 110 vorgehe, gibt es keine Grundlage[3]. Jede der Vorschriften ist teilweise spezieller als die andere. Es bestehen keine Gründe gegen ein Nebeneinander der beiden Vorschriften, jedoch die o. a. Gründe dafür. Der Anwendungsbereich des § 110 AO geht auch im Übrigen wesentlich über den des § 86 RAO hinaus, der sich tatsächlich auf Rechtsbehelfsfristen und bestimmte Antragsfristen beschränkte. Ähnliches gilt für die gesetzlichen Zahlungsfristen, die durch Stundung[4] oder Zahlungsaufschub[5] verlängert werden können. Werden sie unverschuldet versäumt, so ist unter den übrigen Voraussetzungen des § 110 Wiedereinsetzung zu gewähren, so dass die an sich verschuldensunabhängigen Säumniszuschläge entfallen[6]. Eine Wiedereinsetzung ist u. U. nach Treu und Glauben zu gewähren. Das kann der Fall sein, wenn die Antragstellung beim zuständigen Finanzamt versäumt worden ist, da das unzuständige Finanzamt aufgrund einer nachhaltigen Verwaltungspraxis und weiterer Umstände einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat, der es ausnahmsweise verbietet, dem Antragsberechtigten ein Verschulden anzulasten[7]. Eine Wiedereinsetzung nach Treu und Glauben kommt auch bei einer Verletzung der Hinweispflicht nach § 89 AO in Betracht (vgl. § 89 Rz. 22; AEAO, zu § 89 Nr. 2, VwA 1).

 

Rz. 6

Der Wortlaut der Vorschrift erfasst entgegen der h. M. (siehe Wagner, in Kühn/­v. Wedelstädt, AO, § 110 Rz. 3) auch die Fristversäumung durch die im Verfahren tätige Finanzbehörde. Wenn auch die Regelung in § 110 AO eindeutig die Fristen gegenüber der Finanzbehörde im Auge hat, ist eine Wiedereinsetzung der von der Finanzbehörde selbst versäumten Frist weder durch den Wortlaut noch durch Sinn und Zweck der Vorschrift gerechtfertigt[8]. Handlungs- und Erklärungspflichten, die die Finanzbehörden einzuhalten haben, fallen ­allerdings nicht unter die Wiedereinsetzungsmöglichkeit[9]. Zur Festsetzungsfrist siehe Rz. 7.

 

Rz. 7

Gesetzliche Fristen sind z. B. die Rechtsbehelfsfristen, u. U. die Verjährungsfristen, die Antragsfristen[10], Zahlungsfristen und Erklärungsfristen. Im Regelfall ist allerdings die Festsetzungsfrist insbesondere nicht vom Stpfl. "einzuhalten". Deswegen scheidet bei ihr grundsätzlich die Wiedereinsetzung aus[11]. Ist innerhalb der Festsetzungsfrist die Frist für einen Antrag des Stpfl. abgelaufen, ohne dass dieser den Antrag gestellt hat, ist selbst bei unverschuldeter Säumnis des Stpfl. eine Wiedereinsetzung mit dem Ziel einer rückwirkenden Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 3 AO nicht möglich (BFH v. 24.1.2008, VII R 3/07, BStBl II 2008, 462 mit Zitaten, siehe auch Frotscher § 171 Rz. 9a). Dagegen gehört die Ausschlussfrist zum Einreichen einer Vollmacht hierher[12]. Regelmäßig wird es sich um Fristen handeln, die gegenüber einer Finanzbehörde einzuhalten sind. Das würde z. B. auch für das rechtzeitige Geltendmachen eines Erstattungs- oder Vergütungsanspruchs durch den Berechtigten vor Ablauf der Zahlungsverjährungsfrist[13] gelten[14]. Bei Versäumung der Frist für die Stellung eines Wiedereinsetzungsantrags kann wiederum eine Wiedereinsetzung in Betracht kommen, sodass sich ganze Ketten von Wiedereinsetzungen ergeben können[15].

 

Rz. 8

Eine Wiedereinsetzung ist bei denjenigen gesetzlichen Fristen ausgeschlossen, die zwar nicht eingehalten, nicht aber versäumt werden können (Mindestfristen). So ist eine Wiedereinsetzung nicht möglich, wenn das Finanzamt unverschuldet die Frist des § 254 Abs. 1 S. 2 AO von einer Woche für den Beginn der Vollstreckung nicht einhält. Ebenso scheidet eine Wiedereinsetzung aus, wenn die auszuführende Handlung nicht nach Ablauf der Frist, sondern vor ihrem Beginn ausgeführt und keine spätere Fristversäumung anzunehmen ist[16].

[1] Nicht verlängerbar war die besondere Steuerer...

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