1 Einordnung der Vorschrift

 

Rz. 1

§ 106 AO bewirkt eine Einschränkung der im Verwaltungsverfahren in Steuersachen[1] bestehenden Verpflichtung zur Auskunftserteilung[2] und Urkundenvorlage[3] und bringt damit zugleich teilweise eine Vorrangstellung der Pflicht zur Amtsverschwiegenheit[4] gegenüber der steuerlichen behördlichen Mitwirkungspflicht. Schutzzweck der Norm ist das Interesse des Bundes und der Länder an der Geheimhaltung von Tatsachen.[5] Im finanzgerichtlichen Verfahren trifft § 86 Abs. 2 S. 1 FGO eine inhaltlich entsprechende Regelung, die gem. § 86 Abs. 3 FGO vom BFH durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung überprüft werden kann.

 

Rz. 2

§ 106 AO schränkt jede Auskunfts- und Vorlagepflicht ein. Die Vorschrift gilt nicht nur für Behörden oder sonstige öffentliche Stellen, sondern auch für die Auskunftserteilung oder Urkundenvorlage von Privatpersonen.[6]

[1] Dumke, in Schwarz/Pahlke, AO/FGO, Vor §§ 78–133 AO Rz. 9; Stand: 03.06.2011.
[5] Schuster, in HHSP, AO/FGO, § 106 AO Rz. 2.
[6] BT-Drs. VI/1982, 138 zu § 120; Schindler, in Gosch, AO/FGO, § 106 AO Rz. 3.

2 Untersagungserklärung

2.1 Voraussetzung

 

Rz. 3

Das Verbot der Auskunft oder Urkundenvorlage erfordert, dass diese "dem Wohl des Bundes oder eines Landes erhebliche Nachteile bereiten würde". Die Frage des Staatswohls ist als Gemeinwohl nach demokratisch-rechtsstaatlicher Auffassung zu beurteilen.[1] Das Staatswohl darf nicht mit dem Wohl einzelner im öffentlichen Leben stehender Personen oder gar Parteien verwechselt werden.[2]

Ob diese Voraussetzung erfüllt ist, entscheidet die zuständige Behörde (s. Rz. 4). Die Entscheidung ist praktisch nur in geringem Umfang gerichtlich nachprüfbar (s. Rz. 9f). Die Beurteilung, ob ein erheblicher Nachteil für das Staatswohl vorliegt, muss demgemäß mit äußerster Sorgfalt und Zurückhaltung erfolgen, zumal das Steuergeheimnis[3] die Weitergabe von Informationen verhindert.

[1] Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 106 AO Rz. 1; Schuster, in HHSp, AO/FGO, § 106 AO Rz. 4.
[2] Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 106 AO Rz. 1.

2.2 Zuständigkeit

 

Rz. 4

Das Verbot der Auskunftserteilung oder Urkundenvorlage nach § 106 AO kann ausschließlich von einer obersten Bundes- oder Landesbehörde erfolgen. Erklärungen untergeordneter Behörden erzeugen nicht die Rechtswirkung des § 106 AO (s. Rz. 7). Die Erklärung hat durch das jeweils zuständige Ministerium zu erfolgen, dessen Aufgabenbereich durch die Auskunftserteilung oder Urkundenvorlage berührt wird.

 

Rz. 5

Das zuständige Ministerium wird von Amts wegen tätig, wobei sowohl der Auskunfts- oder Vorlagepflichtige als auch die Finanzbehörde das Ministerium informieren kann. Die Finanzbehörde ist allerdings nicht verpflichtet, eine ministerielle "Unbedenklichkeitsbescheinigung" oder Untersagung einzuholen.[1]

[1] Schuster, in HHSp, AO/FGO, § 106 AO Rz. 5.

2.3 Rechtscharakter

 

Rz. 6

Die Untersagungserklärung des Ministeriums trifft eine rechtliche Regelung eines Einzelfalls hinsichtlich steuerrechtlicher Pflichten. Sie ist demgemäß ein Verwaltungsakt i. S. v. § 118 Abs. 1 AO.[1] Da § 106 AO eine bestimmte Form nicht vorschreibt, kann die Untersagungserklärung mündlich erfolgen.[2] Der Betroffene sollte aber stets wegen der verfahrensrechtlichen Bedeutung eine schriftliche Bestätigung[3] verlangen. Betroffen i. d. S. ist, selbst wenn die Erklärung gegenüber einer anderen Auskunftsperson erfolgt (s. Rz. 2), auch die Finanzbehörde. Wegen des Inhalts und der Bekanntgabe des Verwaltungsakts gelten die allgemeinen Bestimmungen.[4]

[1] Schindler, in Gosch, AO/FGO, § 105 AO Rz. 8.

2.4 Rechtswirkungen

 

Rz. 7

Durch die Untersagung durch die oberste Bundes- oder Landesbehörde entfällt die Pflicht zur Auskunftserteilung bzw. Urkundenvorlage. Die Finanzbehörde ist an diese Erklärung gebunden. Die Untersagung durch andere Stellen ist für § 106 AO ohne Bedeutung.

Hat die Finanzbehörde das Auskunfts- bzw. Vorlageersuchen gestellt, so wird es mit dem Wirksamwerden der Untersagungserklärung mangels Pflichtenstellung rechtswidrig und ist von der Finanzbehörde aufzuheben. Liegt ein Auskunfts- bzw. Vorlageersuchen noch nicht vor, so darf die Finanzbehörde dies von nun ab nicht mehr stellen.

 

Rz. 8

Nach der Entscheidung der obersten Behörde ist – wegen des Beweismittelverbots – die Finanzbehörde nicht mehr auskunfts- und vorlageberechtigt; die Auskunftsperson ist nicht mehr zur Auskunft und Vorlage verpflichtet.[1]

Bei freiwilliger, gegen die Untersagungserklärung verstoßender Auskunft bzw. Urkundenvorlage darf die Finanzbehörde die hieraus erlangten Kenntnisse nicht verwerten.[2] Allerdings wirkt dieses Verwertungsverbot nur relativ. Die Finanzbehörde ist nicht gehindert, ihre Erkenntnisse aus anderen Quellen zu schöpfen und andere Beweismittel zu nutzen.

[1] Schuster, in HHSp, AO/FGO, § 106 AO Rz. 6.
[2] Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 106 AO Rz. 1; Schindler, in Gosch, AO/FGO, § 106 AO Rz. 9; a. A. Schuster, in HHSp, AO/FGO, § 106 AO Rz. 7.

2.5 Rechtsschutz

2.5.1 Finanzbehörde

 

Rz. 9

Für die Finanzbehörde ist die Untersagungserklärung bindend; ihre Ermittlungsbefugnis[1] ist ...

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