Entscheidungsstichwort (Thema)

Umsatzsteuerliche Organschaft: Finanzielle Eingliederung im Falle einer Mehrheitsbeteiligung ohne Stimmrechtsmehrheit

 

Leitsatz (redaktionell)

Die für die umsatzsteuerliche Organschaft erforderliche finanzielle Eingliederung in das Unternehmen des Mehrheitsgesellschafters liegt auch dann vor, wenn der Mehrheitsgesellschafter nur über 50 % der Stimmrechte verfügt und in beiden Gesellschaften dieselbe Person als alleiniger Geschäftsführer tätig ist.

 

Normenkette

UStG § 20 Abs. 2 Nr. 2 S. 1; MwStSystRL Art. 11 Abs. 1

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 18.01.2023; Aktenzeichen XI R 29/22 (XI R 16/18))

BFH (Beschluss vom 11.12.2019; Aktenzeichen XI R 16/18)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob im Streitjahr 2005 eine umsatzsteuerliche Organschaft zwischen der A als Organträgerin und der Klägerin als Organgesellschaft vorliegt.

Die Klägerin ist eine GmbH, die durch notarielle Urkunde vom 29. August 2005 errichtet wurde. Gegenstand der Klägerin ist nach § 2 des Gesellschaftsvertrags u.a. die Führung der Geschäfte der A und der C e.V.. Gesellschafter der Klägerin sind die A zu 51 % und die C e.V. zu 49 %. Alleiniger Geschäftsführer der Klägerin war im Streitjahr E, der zugleich alleiniger Geschäftsführer der A und geschäftsführender Vorstand der C e.V. war.

§ 7 Abs. 2 des Gesellschaftsvertrags enthielt zur Gesellschafterversammlung folgende Regelung:

"Die Gesellschafterversammlung wird gebildet aus den Mitgliedern des Hilfswerksaus-schusses der A und des Hauptausschusses der C e.V.. Jeder Gesellschafter hat 7 Stimmen und entsendet in die Gesellschafterversammlung bis zu 7 Vertreter/innen, die für diese Gesellschaft ausschließlich ehrenamtlich tätig sind. Vorbehaltlich der nachfolgenden Regelungen hat jeder/e Vertreter/in eine Stimme und entscheidet nach eigenem pflichtgemäßen Ermessen und ist dabei nicht an Vorgaben des ihn entsendenden Gesellschafters gebunden.

Eine Ausnahme gilt nur für Entscheidungen, die unmittelbar das jeweils von einem Gesellschafter der Gesellschaft zur Verfügung gestellte Anlagevermögen betreffen; in diesem Fall können die Stimmen nur pro Gesellschafter einheitlich abgegeben werden und die Vertreter/innen sind an die Anweisungen des entsendenden Gesellschafters gebunden. Können sie sich untereinander nicht einigen, gelten alle 7 Stimmen des betroffenen Gesellschafters als in der Weise abgegeben, wie die Mehrheit der von ihm entsandten Vertreter/innen abgestimmt hat."

Auf dem beurkundeten Gesellschaftsvertrag war auf den einzelnen Seiten der Hinweis "Gesellschaftsvertrag C e.V. GmbH Stand 01.12.2004" angebracht. Die Klägerin wurde am 17. Oktober 2005 unter Verweis auf den am 29. August 2005 beurkundeten Gesellschaftsvertrag ins Handelsregister eingetragen.

Vor der Gründung der Klägerin waren dem für die Besteuerung der Klägerin zuständigen Finanzamt (FA) mit Schreiben vom 16. Dezember 2004 zwei Entwürfe des Gesellschaftsvertrags zur Stellungnahme im Hinblick auf das Vorliegen einer umsatzsteuerlichen Organschaft vorgelegt worden. Hierbei handelte es sich um den Gesellschaftsvertrag "Stand 01.12.2004" (Version A), der am 29. August 2005 beurkundet wurde, und den Gesellschaftsvertrag "Stand 07.12.2004" (Version B). Mit Schreiben vom 29. Dezember 2004 teilte das FA mit, dass nur die Version B die Anforderungen an die finanzielle Eingliederung erfülle, da die A danach jederzeit die einheitliche Stimmabgabe beantragen könne und die Vertreter in der Gesellschafterversammlung in diesem Fall an die Weisungen der Gesellschafter gebunden seien und bei einer Patt-Situation die Höhe der Stimmanteile zähle.

In der gemeinsamen Sitzung des Hilfswerkausschusses der A, des Hauptausschusses der C e.V. und der Gesellschafterversammlung der Klägerin vom 1. Dezember 2005 beschlossen der Hilfswerkausschuss und der Hauptausschuss jeweils einstimmig, den Beschluss der Geschäftsführung zu genehmigen und den Gesellschaftsvertrag der Klägerin "gemäß Version Stand 07.12.2004 abzuändern". Zur Begründung der Änderung enthielt die Niederschrift folgende Ausführungen: "Aufgrund der sich abzeichnenden Probleme mit dem Finanzamt, weiterhin die umsatzsteuerliche Organschaft der A nicht zuerkennen zu wollen, muss der Gesellschaftsvertrag der C e.V. GmbH gem. Version Stand 07.12.2004 abgeändert werden."

In der Broschüre "Rechtliche Grundlagen der Kooperation" der Gruppe C war § 7 Abs. 2 des Gesellschaftsvertrags der Klägerin in der Version B abgedruckt. Die Broschüre enthielt darüber hinaus einen Abdruck der Kooperationsvereinbarung vom 19. Dezember 2003 und des Geschäftsbesorgungsvertrags aus Januar 2005, die jeweils zwischen der A, der C e.V. und der Klägerin abgeschlossen worden waren.

In der Gesellschafterversammlung vom 9. Dezember 2010 wurde § 7 Abs. 2 Unterabsatz 2 des Gesellschaftsvertrags gemäß der Version B wie folgt abgeändert:

"Eine Ausnahme gilt nur für Entscheidungen, die unmittelbar das jeweils von einem Gesellschafter der Gesellschaft zur Verfügung gestellte Anlagevermögen betreffen oder für ...

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