Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Kindergeldaufhebung bei aus anderem Grund fortbestehenden Anspruch. Anfechtungsklage. Kindergeld für an Borderline-Syndrom leidendes Kind. Unfähigkeit zum Selbstunterhalt

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung ist unzulässig, wenn zwar der ursprüngliche Berücksichtigungstatbestand entfallen ist, dafür aber ein anderer Berücksichtigungsgrund vorliegt. Gegen einen dennoch ergangenen Aufhebungsbescheid ist die Anfechtungsklage statthaft.

2. Ein behindertes Kind ist im Sinne von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG außerstande, sich selbst zu unterhalten, wenn die Behinderung jedenfalls mitursächlich für seine Unfähigkeit zum Selbstunterhalt ist. Davon ist auszugehen, wenn die Mitarbeiter des Arbeitsamtes nie den Versuch unternommen haben, das am Borderline-Syndrom leidende Kind in eine Stelle oder in eine Ausbildung am allgemeinen Arbeitsmarkt zu vermitteln, weil eine solche Vermittlung bei den sachnahen Mitarbeitern der Berufsberatung aufgrund der Behinderung des Kindes offenbar für nicht möglich gehalten wurde.

 

Normenkette

FGO § 100 Abs. 1 S. 1; EstG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. a; EStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3, § 70 Abs. 2

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 28.05.2009; Aktenzeichen III R 72/06)

 

Tenor

Der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 05.12.2003 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 02.06.2004 wird aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist die Aufhebung des für das Kind A. festgesetzten Kindergeldes ab Februar 2003 und die Rückforderung des für Februar 2003 bis Juni 2003 bereits ausgezahlten Kindergeldes.

Der am 29.12.1979 geborene Sohn der Klägerin A. leidet an dem sog. Borderline-Syndrom. A. befand sich bis August 1998 in einer berufsvorbereitenden Maßnahme der D.A. GmbH (Schulausbildung). Im September 1998 begann er bei dem selben Maßnahmenträger eine Berufsausbildung zum Koch, die am 25.11.1998 von der D.A. GmbH fristlos gekündigt wurde. Anschließend meldete sich A. bei der Berufsberatung der Beklagten, wo von ihm vor einer Vermittlung verlangt wurde, eine psychologische Behandlung nachzuweisen. Er begab sich in eine entsprechende fachärztliche Behandlung, mit deren Abschluss ihm Seitens des behandelnden Arztes, Herrn Dr. T. in G., eine psychologisch betreute Ausbildung in einem Berufsbildungswerk empfohlen wurde. Daraufhin wurde A. vom psychologischen Dienst des Arbeitsamts G. übernommen, wo er sich nach zweimaligem Nichterscheinen einer Untersuchung und anschließend einiger Sitzungen unterzog. Im März 2001 wurde A. eine Berufsfindungsmaßnahme beim Berufsbildungswerk des DRK B. vermittelt. Im Mai 2002 ordnete das Amtsgericht G. für A. Betreuung für die Aufgabenkreise Gesundheits- und Vermögenssorge sowie Vertretung gegenüber Ämtern/Behörden, Institutionen, Versicherungen und Vermietern an sowie, dass der Abschluss von Verträgen über wiederkehrende Leistungen und über Leistungen für mehr als 15 EUR der Zustimmung der Betreuerin bedarf. Ab 05.11.2002 sollte sich A. einer Maßnahme zur beruflichen Rehabilitation (Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben) bei der Rehabilitationseinrichtung Initiative für Seelisch Behinderte G. e.V. unterziehen, die er aber nur am 09.01.2003 und am 13.01.2003 antrat und am 28.01.2003 aus gesundheitlichen Gründen abbrach.

Mit Bescheid vom 05.12.2003 hob die Beklagte gegenüber der Klägerin das Kindergeld für den der Klägerin A. ab Februar 2003 auf und forderte das für Februar 2003 bis Juni 2003 bereits ausgezahlte Kindergeld zurück. A. habe die Rehamaßnahme abgebrochen und befinde sich deshalb nicht mehr in Ausbildung. Mit Einspruchsentscheidung vom 02.06.2004 wies die Beklagte den dagegen gerichteten Einspruch der Klägerin vom 09.12.2003 als unbegründet zurück.

Am 02.07.2004 hat die Klägerin Klage erhoben.

Sie ist der Auffassung, A. sei wegen einer Behinderung außerstande, sich selbst zu unterhalten. Dazu legt sie eine Stellungnahme von Dipl.-Med. R. P., Fachärztin für Neurologie und Psychatrie vor, nach der A. aufgrund einer dauerhaften schweren Persönlichkeitsstörung außerstande sei, eine Ausbildung aufzunehmen oder fortzusetzten. Zum Beweis dafür, dass A. aufgrund seiner Behinderung außerstande sei, beantragt sie die Einholung eines Sachverständigengutachten sowie die Zeugenvernehmung von Frau P. und der Betreuerin des Sohnes, Frau E. K.. A. habe in 2003 nur Bezüge in Form von Sozialhilfe i.H.v. insgesamt 6.728,34 EUR gehabt (vgl. Bl. 38 ff. Gerichtsakte).

Mit Bescheid vom 19.07.2005 hat das Amt für Familie und Soziales festgestellt, dass bei A. eine Behinderung mit einem Grad von 50 v.H. in Form einer seelischen Verhaltensstörung vorliegt. Ergänzend wurde unter dem 12.11.2005 festgestellt, dass ...

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