Leitsatz

Die Stellung des Antrags auf Berücksichtigung der Unterhaltsleistungen nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG 2007 durch den Geber samt Einreichung der Zustimmungserklärung des Empfängers ist bereits das rückwirkende Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 AO, das zur Änderung der Einkommensteuerfestsetzung des Empfängers der Unterhaltsleistung nach § 22 Nr. 1a EStG 2007 führt. Auf die tatsächliche Anerkennung der Leistungen als Sonderausgaben beim Geber kommt es nicht an.

 

Normenkette

§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 2, § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, § 174 Abs. 4 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 AO, § 10 Abs. 1 Nr. 1, § 22 Nr. 1a EStG 2007

 

Sachverhalt

Die Klägerin wurde im Streitjahr 2007 von ihrem Ehemann E geschieden. In diesem Zusammenhang verpflichtete sich E, der Klägerin einen Betrag i.H.v. 10.000 EUR zu zahlen. Die Klägerin wurde 2008 erklärungsgemäß für 2007 veranlagt, ohne dass diese Zahlung als Unterhaltsleistungen i.S.d. § 22 Nr. 1a EStG besteuert wurde. E reichte seinerseits 2010 seine Steuererklärung 2007 samt Anlage U sowie Zustimmung der Klägerin zum Abzug von Unterhaltsleistungen bei seinem FA ein. Ob die Zahlung der 10.000 EUR bei ihm als Sonderausgabe nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG berücksichtigt werden konnte, war zunächst zwischen E und dem FA umstritten, ohne dass die Klägerin als Dritte an dem Verfahren beteiligt wurde. Erst 2015 wurde die Zahlung als abziehbare Unterhaltsleistung des E anerkannt. Daraufhin änderte das FA noch im Jahr 2015 den Steuerbescheid der Klägerin für das Streitjahr 2007 gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO und besteuerte die Zahlung als Unterhaltsleistung nach § 22 Nr. 1a EStG. Einspruch und Klage der Klägerin blieben erfolglos. Das FG sah das rückwirkende Ereignis in Bezug auf die Unterhaltsleistung des E in der Anerkennung des Sonderausgabenabzugs durch das FA im Jahr 2015, sodass der die Klägerin betreffende Änderungsbescheid noch in diesem Jahr erlassen werden konnte (FG des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 7.3.2019, 1 K 508/16, Haufe-Index 13007156, EFG 2019, 748). Die Klägerin meint demgegenüber, der Antrag des E verbunden mit ihrer Zustimmungserklärung seien das rückwirkende Ereignis i.S.d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO. Da beide schon 2010 vorgelegen hätten, sei 2015 bereits die Festsetzungsverjährung eingetreten.

 

Entscheidung

Der BFH gab der Klägerin aus den unter den Praxis-Hinweisen dargestellten Gründen Recht und hob sowohl das erstinstanzliche Urteil als auch den Änderungsbescheid auf.

 

Hinweis

1. Durch § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO wird die bestandskraftdurchbrechende Berücksichtigung später eingetretener Ereignisse geregelt, denen steuerliche Rückwirkung zukommt. Nach § 175 Abs. 1 Satz 2 AO beginnt in einem solchen Fall die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem das Ereignis eintritt.

2. Wann ein Sachverhalt i.S.d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AOsteuerlich zurückwirkt, wird im Gesetz nicht näher bestimmt. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung genügt es nicht, dass das spätere Ereignis den für die Besteuerung maßgeblichen Sachverhalt anders gestaltet. Die Änderung muss sich auch steuerrechtlich in der Weise auswirken, dass nunmehr der geänderte anstelle des zuvor verwirklichten Sachverhalts der Besteuerung zugrunde zu legen ist. Ob diese Voraussetzung vorliegt, entscheidet sich nach dem im Einzelfall anzuwendenden materiellen Steuergesetz.

3. Worin ist bei einem Realsplitting das Ereignis mit steuerlicher Rückwirkung zu sehen: in der Antragstellung des Leistenden (samt Zustimmung des Empfängers) oder in dem tatsächlichen Sonderausgabenabzug beim Leistenden?

4. Maßgebendes rückwirkendes Ereignis i.S.d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO für den Ansatz von Unterhaltsleistungen als sonstige Einkünfte nach § 22 Nr. 1a EStG ist die Stellung des Antrags auf Berücksichtigung der Unterhaltsleistungen durch den Leistenden (durch Einreichung der Anlage U) – samt Zustimmungserklärung des Empfängers – beim FA des Gebers.

5. Auf die tatsächliche Abzugsmöglichkeit beim Unterhaltsleistenden kommt es nicht an. Zwar könnte dies dem Wortlaut von § 22 Nr. 1a EStG ("abgezogen werden können") zu entnehmen sein. Dagegen spricht aber, dass schon der Antrag des Gebers und die Zustimmung des Empfängers rechtsgestaltend sind. Sie überführen die Unterhaltsleistungen in den steuerrechtlich relevanten Bereich und ändern so ihren Rechtscharakter. Damit haben sie eine Doppelfunktion: Der Antrag (samt Zustimmung) ist nicht nur Verfahrensvoraussetzung für die steuerliche Berücksichtigung der Unterhaltsleistungen sondern gleichzeitig materiell-rechtliche Voraussetzung für die Abzugsmöglichkeit dem Grunde nach. Die Steuerpflicht der Unterhaltsleistungen beim Empfänger hängt dagegen nicht davon ab, ob und inwieweit der Sonderausgabenabzug beim Geber tatsächlich zu einer Steuerminderung geführt hat. Es besteht nach Wortlaut, Systematik sowie Sinn und Zweck des Gesetzes kein Anlass, § 22 Nr. 1a EStG einschränkend auszulegen.

 

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