1 Länderöffnungsklausel

 

Rz. 1

Mit dem Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 72, 105 und 125b) v. 15.11.2019, BGBl I 2019, 1546, wurde einerseits zur grundgesetzlichen Absicherung des Grundsteuer-Reformgesetzes die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für die Grundsteuer durch eine Änderung des Art. 105 Abs. 2 GG auf den Bund übertragen, ohne dass für deren Ausübung die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG, die Erforderlichkeit einer bundesgesetzlichen Regelung, vorliegen müssen.

Anderseits wurde insbesondere auf Druck aus Bayern bzw. der CSU[1] den Ländern für die Grundsteuer (und das dazugehörende Bewertungsrecht) in Art. 72 Abs. 3 S. 1 Nr. 7 GG das Recht zu abweichenden landesrechtlichen Regelungen eingeräumt (Regelungskompetenz der Länder für abweichende landesrechtliche Regelungen – sog. Länderöffnungsklausel). Das abweichende Landesrecht darf nach Art. 125b Abs. 3 GG der Erhebung der Grundsteuer frühestens für Zeiträume ab dem 1.1.2025 zugrunde gelegt werden.

 

Rz. 2

Bei der Abweichungsbefugnis nach Art. 72 Abs. 3 S. 1 Nr. 7 GG handelt um ein umfassendes Abweichungsrecht ohne abweichungsfesten Kern, das den Ländern eine grundlegend andere Ausgestaltung der Grundsteuer ermöglicht.[2] Der jeweilige Landesgesetzgeber darf die bundesgesetzlichen Regelungen zum Grundsteuer- und dazugehörenden Bewertungsrecht vollständig ersetzen. Er kann sie aber auch nur teilweise ändern oder ergänzen. Gewahrt werden müssen allerdings der Charakter einer Steuer, die i. S. d. § 3 Abs. 1 AO eine Geldleistung ohne – direkte – Gegenleistung darstellt, und der verfassungsrechtlich überlieferte Typus der Grundsteuer, die i. S. v. Art. 105 Abs. 2 und 106 Abs. 6 GG an das Innehaben von Grundbesitz anknüpft und persönliche Verhältnisse außer Betracht lässt (Objektsteuer). Das BVerfG hat in seiner Entscheidung v. 10.4.2018 hinsichtlich des Belastungsgrundes der Grundsteuer keine Aussagen getroffen, insbesondere seine frühere Rechtsprechung, nach der die Grundsteuer die im Grundbesitz fundierte Leistungsfähigkeit erfassen soll[3], nicht aufgegriffen. Dem Gesetzgeber hat das BVerfG einen weiten Spielraum für die Ausgestaltung der Bemessungsgrundlage attestiert. Die vom Landesgesetzgeber gewählte Bemessungsgrundlage und die Ausgestaltung der Bewertungsregeln müssen jedoch geeignet sein, den Belastungsgrund der Steuer zu erfassen und dabei die Relation der Wirtschaftsgüter zueinander realitätsgerecht abzubilden.[4] Jedes Land, das die sog. Länderöffnungsklausel in Anspruch nimmt, trägt insoweit ein eigenständiges verfassungsrechtliches Risiko.

Wenngleich der Verfassungsgeber bei der Einführung der Abweichungsbefugnis nach Art. 72 Abs. 3 S. 1 Nr. 7 GG rechtspolitisch zuvörderst abweichende materielle Regelungen im Blick hatte, so erstreckt sich die Abweichungsbefugnis auch auf das Verfahrensrecht, das ein abweichendes Landesverfahrensrecht für die Grundsteuer erlaubt.[5]

 

Rz. 3

Im Zusammenhang mit der Abweichungsbefugnis nach Art. 72 Abs. 3 S. 1 Nr. 7 GG für die Grundsteuer ist anzumerken, dass gem. Art. 72 Abs. 3 S. 3 GG im Verhältnis von Bundes- und Landesrecht das jeweils spätere Gesetz vorgeht. Hierdurch kann es zu einer sog. Ping-Pong-Gesetzgebung zwischen Landes- und Bundesgesetzgeber kommen (s. z. B. Sachsen: erneute Bestätigung der festgelegten Steuermesszahlen, Rz. 285).

Sofern auf das Abweichungsgesetz eines Landes das Bundesgesetz zeitlich nachfolgt, geht das Bundesgesetz dem Landesgesetz grundsätzlich vor. Die Reichweite des Anwendungsvorrangs ist unter Verfassungsrechtlern jedoch umstritten.[6] Klärende Entscheidungen des BVerfG sind hierzu noch nicht ergangen. Die Reichweite des Anwendungsvorrangs gegenüber dem Landesrecht ist im Einzelfall durch Auslegung zu bestimmen. Bezweckt der Bundesgesetzgeber keine inhaltlichen Änderungen, wie bei rein redaktionellen Änderungen, und hat er in Bezug auf das abweichende Landesrecht überhaupt keinen Änderungswillen, sprechen mehr Gründe für die Annahme, dass der Anwendungsvorrang des Art. 72 Abs. 3 S. 3 GG nicht ausgelöst wird.

 

Rz. 4

Die Einräumung der umfassenden abweichenden Regelungskompetenz für die Länder stellte einen politischen Kompromiss dar, der eingegangen werden musste, um ein Scheitern der Reform und damit einen Wegfall der Grundsteuer als bedeutende Einnahmequelle für die Kommunen zu verhindern.

Insbesondere wegen des finanzverfassungsrechtlichen Streits über die Gesetzgebungskompetenz für die Grundsteuer und der unterschiedlichen politischen Vorstellungen hinsichtlich der Frage, wie eine gerechte Bemessungsgrundlage für Zwecke der Grundsteuer auszugestalten sei, ist aus der Debatte – als Ausgleich zwischen den Positionen – die Idee einer Öffnungsklausel für die Länder hervorgegangen.[7]

Während für die Inanspruchnahme der sog. Länderöffnungsklausel vor allem die Vorzüge des Föderalismus, die Reduzierung des Erfüllungsaufwands sowie die Berücksichtigung von regionalen Besonderheiten angeführt werden, hat der Bundesgesetzgeber bereits in der Begründung zum Entwurf des Grundsteuer-Reformgesetzes auf ...

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