vorläufig nicht rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Anlaufhemmung bei Antragsveranlagung, Zwischenurteil

 

Leitsatz (redaktionell)

  1. Da § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG in der seit dem Veranlagungszeitraum 2005 geltenden Fassung keine Frist für den Antrag auf Veranlagung mehr vorsieht, ist die Frage, ob noch eine Veranlagung beantragt werden kann, mit der Frage, ob bereits Festsetzungsverjährung eingetreten ist, identisch.
  2. Soweit in der Rspr. stichworthaft der Leitsatz „keine Anlaufhemmung bei Antragsveranlagung” auftaucht, ist dies nicht so zu verstehen, dass generell eine Anlaufhemmung nicht in Betracht kommt.
  3. Die Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO für eine Einkommensteuererklärung wird wegen § 56 Satz 2 EStDV auch durch zum Schluss des Vorjahrs festgestellte Verluste ausgelöst.
  4. Sofern ein Fall der Antragsveranlagung gegeben ist, kann der Antrag bis zum Ablauf der unter Beachtung der Anlaufhemmung zu berechnenden Festsetzungsfrist gestellt werden.
 

Normenkette

AO § 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1; EStDV § 56 S. 2; EStG § 46 Abs. 2. Nr. 8; FGO § 99 Abs. 2

 

Streitjahr(e)

2006, 2007, 2008

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 30.03.2017; Aktenzeichen VI R 43/15)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Frage, ob für die Streitjahre (2006 bis 2008) noch eine Veranlagung zur Einkommensteuer durchzuführen ist.

Der Kläger gab seine Einkommensteuererklärung für die Jahre 2006 bis 2008 (spätestens) unter dem 23. Dezember 2013 beim Beklagten – dem Finanzamt (FA) – ab. Bereits in einem vorhergehenden Schreiben des steuerlichen Beraters führte dieser aus: „Bitte führen Sie die Verlustverrechnung mit den Einkünften der Folgejahre durch und tragen Sie den verbleibenden Verlust jeweils vor. Dazu möchten Sie bitte entsprechende Verlustfeststellungen erlassen (§ 171 Abs. 3 AO)” (Schreiben vom 19. Dezember 2013). Der Kläger erklärte in den Steuererklärungen ausschließlich Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit unter Berücksichtigung von Werbungskosten insbesondere aufgrund einer doppelten Haushaltsführung sowie Sonderausgaben. Auf den 31. Dezember 2005 hatte das FA einen verbleibenden Verlustvortrag in Höhe von 46.749 € festgestellt. Unter dem 29. Januar 2014 lehnte das FA mit getrennten Bescheiden für die jeweiligen Streitjahre eine Veranlagung ab, da der Antrag auf Veranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 Einkommensteuergesetz (EStG) nicht fristgerecht gestellt worden sei.

Mit den dagegen eingelegten Einsprüchen trug der Kläger vor, es sei zum 31. Dezember 2005 ein verbleibender Verlustvortrag festgestellt worden. Daher bestehe eine Steuererklärungspflicht gemäß § 56 Satz 2 Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV).

Das FA wies die Einsprüche mit Einspruchsentscheidung vom 4. Juni 2014 als unbegründet zurück. Da die Voraussetzung für eine Pflichtveranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 1-7 EStG nicht erfüllt seien, komme lediglich eine Antragsveranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG in Betracht. Dieser Antrag sei innerhalb der allgemeinen Festsetzungsfrist von vier Jahren zu stellen. Da die Steuererklärungen im Jahr 2013 abgegeben worden seien, komme nur noch unter den Voraussetzungen des § 170 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) eine Veranlagung in Betracht. Zwar folge aus dem Gesetzeswortlaut des § 56 Satz 2 EStDV die Pflicht zur Abgabe einer Steuererklärung. Daraus ergebe sich aber keine Pflicht zur Veranlagung. Zudem habe die Verpflichtung zur Abgabe der Einkommensteuererklärung lediglich den Zweck, den verbleibenden Verlustvortrag feststellen zu können. Die Verluste seien aber unter Zugrundelegung der vom Kläger mitgeteilten Besteuerungsgrundlagen zum 31. Dezember 2008 ohnehin verbraucht. Da demnach eine Veranlagung zur Einkommensteuer nicht möglich sei und der Verlustvortrag mit 0 € festzustellen wäre, ergäbe sich keine Auswirkung auf die Folgejahre.

Hiergegen richtet sich nunmehr die Klage. Wie der Beklagte bereits festgestellt habe, ergebe sich das vom Kläger gewünschte Ergebnis aus dem Gesetzeswortlaut. Der Kläger sei nach § 56 Satz 2 EStDV verpflichtet, eine Einkommensteuererklärung abzugeben. Dementsprechend komme es zu einer Anlaufhemmung gemäß § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO.

Zwar mag § 56 EStDV nicht regeln, wann eine Veranlagung durchzuführen sei. Die entsprechende Ermächtigungsgrundlage (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a EStG) ermögliche es dem Verordnungsgeber jedoch, die Steuererklärungspflicht auf die Fälle zu beschränken, in denen eine Veranlagung in Betracht komme. Dementsprechend sei in § 56 Satz 2 EStDV die Veranlagung geregelt. Dies ergebe sich auch daraus, dass in der Vorschrift, im Gegensatz zu Satz 1 der Vorschrift, ein Querverweis auf § 46 EStG gänzlich fehle. Dementsprechend mute die Rechtsauffassung des Beklagten arg konstruiert an. Eine Auslegung entgegen dem Gesetzeswortlaut sei nicht zulässig.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

unter Aufhebung der Ablehnungsbescheide vom 29. Januar 2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 4. Juni 2014 den Beklagten zu verpflichten, die Einkommensteuerveranlagung für die Jahre 2006-2008 entsprechend den einger...

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