Leitsatz

Die Restnutzungsdauer eines Gebäudes kann auch durch ein Wertgutachten eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen nachgewiesen werden. Die Vorlage eines Bausubstanzgutachtens ist nicht Voraussetzung.

 

Sachverhalt

Der Kläger hatte im Jahr 2011 eine Immobilie (Baujahr 1955) im Rahmen eines Zwangsversteigerungsverfahrens erworben.

Er machte bei den Einkünften aus Vermietung einen AfA-Satz von 3,33 % geltend, da die Umstände darauf hindeuteten, dass die Immobilie vor Ablauf der Abschreibungsfrist wirtschaftlich verbraucht sein würde, sodass von einer tatsächlichen Nutzungsdauer von 30 Jahren auszugehen sei. Das Finanzamt folgte dem Antrag nicht und setzte eine 2%ige AfA als Werbungskosten an.

Im Klageverfahren legte der Kläger zum Nachweis ein Wertgutachten aus dem Jahr 2010 vor, das im Auftrag des Amtsgerichts von einem öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für Grundstücksbewertung erstellt worden war. Der Gutachter ging von einer Gesamtnutzungsdauer von 80 Jahren und einer Restnutzungsdauer von 30 Jahren aus. Die Wohnungen im Obergeschoss und Dachgeschoss entsprächen noch der Ausstattung von 1955 und nicht den Wohnansprüchen zum Zeitpunkt der Gutachtenerstellung.

Das Finanzamt vertrat die Auffassung, aus dem eingereichten Wertgutachten ließe sich eine Restnutzungsdauer von 30 Jahren nicht ableiten. Eine kürzere Nutzungsdauer könne nur angenommen werden, wenn das Wirtschaftsgut vor Ablauf der technischen Nutzungsdauer objektiv wirtschaftlich verbraucht sei. Ein Hinweis auf einen nicht mehr zeitgemäßen Wohnstandard reiche nicht aus.

 

Entscheidung

Das Finanzgericht gab der Klage statt und setzte einen AfA-Satz von 3,33 % an.

Anstelle der typisierten Absetzungen nach § 7 Abs. 4 Satz 1 EStG kann auch eine tatsächlich kürzere Nutzungsdauer nach § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG zugrunde gelegt werden. Dabei bestimmt sich die Nutzungsdauer nach dem Zeitraum, in dem ein Gebäude voraussichtlich seiner Zweckbestimmung entsprechend genutzt werden kann (§ 11c Abs. 1 EStDV). Diese wird bestimmt durch den technischen Verschleiß, die wirtschaftliche Entwertung sowie rechtliche Gegebenheiten, welche die Nutzungsdauer eines Gegenstands begrenzen können.

Zum Nachweis kann sich der Steuerpflichtige jeder Darlegungsmethode bedienen, die im Einzelfall zur Führung des erforderlichen Nachweises geeignet erscheint. Dabei müssen die Faktoren, die die Nutzungsdauer im Einzelfall beeinflussen, so dargelegt sein, dass die Schätzung der Nutzungsdauer mit hinreichender Bestimmtheit erfolgen kann. Die Vorlage eines Bausubstanzgutachtens ist nicht zwingend Voraussetzung für die Anerkennung einer verkürzten tatsächlichen Nutzungsdauer.

Das vorgelegte Wertgutachten stellt kein Parteigutachten dar. Die Einschätzungen des Gutachters wurden durch die tatsächlichen Sanierungsmaßnahmen bestätigt.

Der Senat folgt den fundierten Ausführungen des Gutachters und stellt fest, dass die tatsächliche Nutzungsdauer der Immobilie zum Zeitpunkt der Anschaffung auf 30 Jahre verkürzt war.

 

Link zur Entscheidung

FG Münster, Urteil v. 27.01.2022, 1 K 1741/18 E

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