Leitsatz

Die Steuerklassen I und II Nrn. 1 bis 3 gelten nicht, wenn die Verwandtschaft eines Adoptivkinds zum Erblasser bereits vor dem Erbfall durch Aufhebung des Annahmeverhältnisses erloschen ist.

 

Normenkette

§ 2 Abs. 1 Nr. 1, § 15 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 1a, § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG

 

Sachverhalt

Der 1938 geborene Kläger wurde 1950 von seinem Onkel und dessen Ehefrau (E) an Kindes statt angenommen. Der Kindesannahmevertrag wurde allerdings 1959 wieder aufgehoben. In einem 1995 errichteten gemeinschaftlichen Testament setzten sich die Eheleute gegenseitig zum Erben ein und bestimmten, dass der Kläger Erbe des zuletzt Versterbenden werden sollte. E, die ihren Ehemann überlebt hatte, verstarb 2004.

Das FA setzte gegenüber dem Kläger Erbschaftsteuer i.H.v. 43 171 EUR unter Berücksichtigung der Steuerklasse III fest.

Der Einspruch, mit dem der Kläger als ehemaliger Adoptivsohn die Zuordnung zur Steuerklasse I, hilfsweise zur Steuerklasse II begehrte, hatte nur hinsichtlich des Hilfsantrags Erfolg.

Die dagegen erhobene Klage wies das FG (Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil vom 04.07.2008, 3 K 114/06, Haufe-Index 2027693, EFG 2008, 1647) mit der Begründung ab, der Kläger sei zum Zeitpunkt des Erbfalls nicht mehr Adoptivsohn der E und damit kein Kind i.S.v. § 15 Abs. 1 ErbStG gewesen. § 15 Abs. 1a ErbStG gelte nicht für ehemalige Adoptionsverhältnisse.

 

Entscheidung

Das sah jetzt der BFH aus den unter "Praxis-Hinweise" genannten Gründen ebenso und wies die Revision des Klägers als unbegründet zurück.

 

Hinweis

1. Nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG bleibt in den Fällen des § 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG der Erwerb der Kinder i.S.d. Steuerklasse I Nr. 2 i.H.v. 205 000 EUR steuerfrei. Zu dieser Steuerklasse gehören die Kinder und Stiefkinder (§ 15 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG). Die Steuerklassen I und II Nrn. 1 bis 3 gelten nach § 15 Abs. 1a ErbStG auch dann, wenn die Verwandtschaft "durch Annahme als Kind" bürgerlich-rechtlich erloschen ist.

a) Was die vorgenannte Wendung heißt, stellt jetzt der BFH klar: Die Annahme als Kind muss den Erlöschensgrund darstellen. Dafür spricht nicht nur der Wortlaut des § 15 Abs. 1a ErbStG, sondern vor allem die Entstehungsgeschichte der Regelung, die Folge des neuen Adoptionsrechts war (BT-Drucks. 8/3688, 23) und wonach bei der Annahme Minderjähriger das Verwandtschaftsverhältnis des Kinds und seiner Abkömmlinge zu den bisherigen Verwandten und die sich daraus ergebenden Rechte und Pflichten erlöschen. Um zu verhindern, dass sich das Erlöschen des bürgerlich-rechtlichen Verwandtschaftsverhältnisses in erbschaftsteuerrechtlicher Hinsicht nachteilig auswirkt, bestimmt insoweit § 15 Abs. 1a ErbStG, dass die Steuerklassen I und II Nrn. 1 bis 3 auch hier gelten.

b)Folge des § 15 Abs. 1, Abs. 1a ErbStG ist, dass bei der Adoption Minderjähriger die Steuerklassen I und II Nrn. 1 bis 3 sowohl bei Erwerben im bisherigen Verwandtschaftskreis als auch bei Erwerben in dem durch die Annahme als Kind neu begründeten Verwandtschaftskreis Anwendung finden. Die darin liegende Doppelbegünstigung lässt sich damit rechtfertigen, dass erbschaftsteuerrechtlich das durch die Annahme als Kind erloschene Verhältnis zu den leiblichen Verwandten dem kraft Gesetz entstandenen Verwandtschaftsverhältnis zu dem Annehmenden und dessen Verwandten für die Zuordnung des Erwerbers zu einer Steuerklasse gleichzustellen ist.

2. Die spannende Frage geht nun dahin, ob auch ein "ehemaliges Adoptionsverhältnis" in den Anwendungsbereich des § 15 Abs. 1a ErbStG fällt. Dies verneint jetzt mit sehr guten Gründen der BFH. Zwar wäre dies nach dem reinen Wortlaut der Vorschrift möglich, indem man das Tatbestandsmerkmal "Annahme als Kind" so verstehen würde, dass nicht der Grund für das Erlöschen der Verwandtschaft, sondern derjenige für das Entstehen der Verwandtschaft bezeichnet würde. Dagegen spricht aber bereits, dass man dann das vorgenannte Tatbestandsmerkmal innerhalb des § 15 Abs. 1a ErbStG unterschiedlich verstehen müsste, was dem gesetzgeberischen Willen schwerlich entsprechen kann. Eine solche "unorthodoxe" Auslegung ist aber vor allem auch nicht erbschaftsteuerrechtlich geboten, denn es gibt (im O-Ton des BFH) schlichtweg "keinen sachlichen Grund dafür, die durch Aufhebung der Adoption erloschenen Verwandtschaftsverhältnisse hinsichtlich der Steuerklasse ebenso zu behandeln wie Verwandtschaftsbeziehungen zu den leiblichen Verwandten, die nach § 1755 Abs. 1 BGB durch die Annahme als Kind erlöschen". Dass insoweit im Einzelfall ein persönliches Verhältnis des ehemaligen Adoptivkinds zu seinen früheren Adoptiveltern fortbestehen mag, reicht hierfür jedenfalls nicht aus.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 17.03.2010 – II R 46/08

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