Rn. 596

Stand: EL 161 – ET: 11/2022

Die Zuordnung zu einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung nach § 9 Abs 4 S 1 EStG wird gemäß § 9 Abs 4 S 2 EStG durch die dienst- oder arbeitsrechtlichen Festlegungen sowie die diese ausfüllenden Absprachen und Weisungen bestimmt. Nach der gesetzlichen Konzeption – und der die Neuordnung des steuerlichen Reisekostenrechts prägenden Grundentscheidung – wird die erste Tätigkeitsstätte vorrangig anhand der arbeits-(vertrag-) oder dienstrechtlichen Zuordnung des ArbN durch den ArbG bestimmt, hilfsweise mittels quantitativer Kriterien (BT-Drucks 17/10774, 15).

Zu den arbeits- oder dienstrechtlichen Weisungen und Verfügungen (kurz: arbeitsrechtliche) zählen alle schriftlichen, aber auch mündlichen Absprachen oder Weisungen (BT-Drucks 17/10774, 15). Die Zuordnung kann also insbesondere im Arbeitsvertrag oder durch Ausübung des Direktionsrechts (beispielsweise im Beamtenverhältnis durch dienstliche Anordnung) kraft der Organisationsgewalt des ArbG oder Dienstherrn (kurz: ArbG) vorgenommen werden.

Der BFH hat sich mittlerweile in ersten Entscheidungen ausführlich mit den Anforderungen an eine solche Zuordnung auseinandergesetzt (BFH v 04.04.2019, VI R 27/17, BStBl II 2019, 536; BFH v 10.04.2019, VI R 6/17, BStBl II 2019, 539; BFH v 11.04.2019, VI R 36/16, BStBl II 543; BFH v 11.04.2019, VI R 40/16, BStBl II 2019, 546; BFH v 11.04.2019, VI R 12/17, BStBl II 2019, 551). Insoweit lässt sich festhalten:

  • die Zuordnung zu einer ersten Tätigkeitsstätte muss nicht ausdrücklich erfolgen;
  • sie setzt auch nicht voraus, dass sich der ArbG der steuerrechtlichen Folgen dieser Entscheidung bewusst ist; wird der ArbN von seinem ArbG einer betrieblichen Einrichtung zugeordnet, weil er dort seine Arbeitsleistung erbringen soll, ist diese Zuordnung aufgrund der steuerrechtlichen Anknüpfung an das Dienst- oder Arbeitsrecht vielmehr auch steuerrechtlich maßgebend. Es bedarf daher neben der arbeitsrechtlichen Zuordnung zu einer betrieblichen Einrichtung keiner gesonderten Zuweisung zu einer ersten Tätigkeitsstätte für einkommensteuerrechtliche Zwecke. Denn der Gesetzgeber wollte mit der Neuregelung des steuerlichen Reisekostenrechts auch das Auseinanderfallen der arbeitsrechtlichen von der steuerrechtlichen Einordnung bestimmter Zahlungen als Reisekosten verringern (BT-Drucks 17/10774, 15);
  • entscheidend ist, ob der ArbN aus der Sicht ex ante nach den arbeitsrechtlichen Festlegungen an einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung des ArbG, eines verbundenen Unternehmens oder eines vom ArbG bestimmten Dritten tätig werden sollte;
  • die arbeitsrechtliche Zuordnungsentscheidung des ArbG als solche muss für ihre steuerliche Wirksamkeit nicht dokumentiert werden (ebenso BMF v 25.11.2020, BStBl I 2020, 1228 Tz 11 und zu Anhaltspunkten für die Zuordnungsentscheidung); die Feststellung einer entsprechenden Zuordnung ist vielmehr durch alle nach der FGO zugelassenen Beweismittel möglich und durch das FG im Rahmen einer umfassenden Würdigung aller Umstände des Einzelfalls zu treffen;
  • es entspricht regelmäßig der Lebenswirklichkeit, dass der ArbN der betrieblichen Einrichtung des ArbG zugeordnet ist, in der er tatsächlich tätig ist oder werden soll.
 

Rn. 597

Stand: EL 161 – ET: 11/2022

Ist der ArbN einer bestimmten Tätigkeitsstätte arbeitsrechtlich zugeordnet, kommt es aufgrund des Direktionsrechts des ArbG für das Auffinden der ersten Tätigkeitsstätte auf den qualitativen Schwerpunkt der Tätigkeit, die der ArbN dort ausübt oder ausüben soll, entgegen der bis 2013 geltenden Rechtslage nicht mehr an (BT-Drucks 17/10774, 15; BMF v 25.11.2020, BStBl I 2020, 1228 Tz 9; BFH v 04.04.2019, VI R 27/17, BStBl II 2019, 536 mwN).

 

Rn. 598

Stand: EL 161 – ET: 11/2022

Erforderlich, aber auch ausreichend ist nach dem BFH, dass der ArbN am Ort der ersten Tätigkeitsstätte zumindest in geringem Umfang Tätigkeiten zu erbringen hat, die er arbeitsvertraglich oder dienstrechtlich schuldet und die zu dem von ihm ausgeübten Berufsbild gehören. Nur dann kann die "erste Tätigkeitsstätte" als Anknüpfungspunkt für den Ansatz von Wegekosten nach Maßgabe der Entfernungspauschale und als Abgrenzungsmerkmal gegenüber einer auswärtigen beruflichen Tätigkeit dienen. Dies folgt nicht nur aus dem Wortsinn (ein Ort, an dem der StPfl nicht tätig wird – oder für den Regelfall nicht tätig werden soll –, kann keine Tätigkeitsstätte sein), sondern insbesondere aus § 9 Abs 4 S 3 EStG, der zumindest für den Regelfall davon ausgeht, dass der ArbN an diesem Ort auch tätig werden soll. Auch das objektive Nettoprinzip spielt in diesem Zusammenhang eine Rolle, da sich anderenfalls die Steuerlast nicht – gleichheitsrechtlich geboten – nach der individuellen Leistungsfähigkeit des StPfl, sondern nach dem Belieben seines ArbG bestimmen würde.

 

Rn. 599

Stand: EL 161 – ET: 11/2022

Zweifelhaft ist, ob – wie die FinVerw meint (BMF v 25.11.2020, BStBl I 2020, 1228 Tz 7) – die bloße persönliche Abgabe von Auftragsbestätigungen oder Stundenzetteln für das vom Gesetz geforderte Tätigwe...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Steuer Office Excellence. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge