Rn. 3

Stand: EL 161 – ET: 11/2022

§ 9 EStG definiert in Abs 1 S 1 den nach § 2 Abs 2 Nr 2 EStG für die Ermittlung der Höhe der Einkünfte bei den Überschusseinkünften erforderlichen WK-Begriff und umschreibt den Zusammenhang zwischen WK und der jeweiligen Einkunftsart (§ 9 Abs 1 S 2 EStG; s Rn 65ff); in § 9 Abs 1 S 3 EStG führt er Bsp für WK an; und er übernimmt die für die Gewinneinkunftsarten geltenden Abzugsverbote für die Überschusseinkünfte (§ 9 Abs 5 S 1 EStG iVm § 4 Abs 5 S 1 Nr 1–4, 6b8a, 10, 12 und Abs 6 EStG sowie § 9 Abs 5 S 2 EStG iVm §§ 4j, 6 Abs 1 Nr 1a und § 6e EStG).

Er enthält aber nicht alle für das Vorliegen von WK erforderlichen Tatbestandsmerkmale. Zusätzlich müssen die Merkmale des § 11 Abs 2 EStG sowie einer Einkunftsart (§§ 1923 EStG) gegeben sein. Der Tatbestand einer Einkunftsart kann dabei sogar verwirklicht sein, wenn (noch) keine Einnahmen vorliegen (s Rn 82).

Zum WK-Abzug bei beschränkt StPfl s § 50 Abs 1 EStG.

WK in unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit steuerfreien Einnahmen dürfen nicht abgezogen werden (§ 3c Abs 1 EStG). Gleiches gilt für nicht steuerbare Einnahmen. Soweit allerdings steuerfreie Einnahmen dem Progressionsvorbehalt des § 43b EStG unterliegen, sind die WK bei der Ermittlung des sog "Steuersatzeinkommens" zu berücksichtigen (BFH v 06.10.1993, I R 32/93, BStBl II 1994, 113; BFH v 01.02.2012, I R 34/11, BStBl II 2012, 405). Dies kann bei einem WK-Überschuss auch zu einem negativen Progressionsvorbehalt führen, sofern nicht ein gesetzliches Verlustabzugsverbot besteht.

 

Rn. 4

Stand: EL 161 – ET: 11/2022

§ 9 EStG ist Ausdruck des sog "objektiven Nettoprinzips" (s Tipke/Lang, Steuerrecht, 24. Aufl 2021, § 8 Rz 8.54f). Dieses leitet sich vom Gebot der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ab, welches wiederum vom BVerfG in Art 3 Abs 1 GG verortet wird (BVerfG v 11.10.1977, 1 BvR 343/73, BStBl II 1978, 174; vgl zur Herleitung und Bedeutung des Nettoprinzips auch BFH v 09.05.2001, XI B 151/00, BStBl II 2001, 552). Das objektive Nettoprinzip besagt, dass nur die Netto- oder Reineinkünfte – dh Einnahmen abzüglich damit im Zusammenhang stehender Ausgaben – der Besteuerung unterliegen dürfen, weil nur dieser Teil der Erwerbsbezüge disponibel ist und für die Steuerzahlung zur Verfügung steht. Die vom EStG erfasste Zunahme wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit besteht nur in der Differenz zwischen den Einnahmen iRd Einkunftsarten und den Aufwendungen, die im Zusammenhang mit diesen Einnahmen entstehen ("Einkunftserzielungskosten"). Daher muss § 9 Abs 1 S 1 EStG teleologisch dahingehend ausgelegt werden, dass WK alle Vorgänge sind, die die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des StPfl mindern (alle Wertabgänge), sofern sie durch die Erzielung von Einnahmen veranlasst werden.

 

Rn. 5

Stand: EL 161 – ET: 11/2022

Die Beschränkung des steuerlichen Zugriffs nach Maßgabe des objektiven Nettoprinzips als Ausgangstatbestand der ESt wird vom BVerfG als eine Grundentscheidung des ESt-Rechts angesehen; es hat aber bislang immer offen gelassen, ob seine Geltung für sich verfassungsrechtlich geboten ist (vgl zB BVerfG v 06.07.2010, 2 BvL 13/09, BStBl II 2011, 318 zum häuslichen Arbeitszimmer und zuletzt BVerfG v 14.06.2016, 2 BvR 290/10, BStBl II 2016, 801 zur Qualifizierung der Altersvorsorgeaufwendungen als Sonderausgaben statt als vorweggenommene WK; Verfassungsrang bejahend Bergkemper, StuW 2006, 311; Lang, StuW 2007, 3, ablehnend Weber-Grellet, DStR 2009, 349; zum Leistungsfähigkeitsprinzip als steuerlichem Fundamentalprinzip s auch Tipke, Die Steuerrechtsordnung I, 479ff). Wie für den allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG generell, gilt auch für das ESt-Recht, dass ein Eingriff des Gesetzgebers in dessen Schutzbereich nicht schlechthin untersagt ist. Dieser bedarf jedoch eines besonderen, sachlich rechtfertigenden Grundes, wobei das BVerfG außerfiskalische Förderungs- und Lenkungszwecke sowie Typisierungs- und Vereinfachungserfordernisse anerkannt hat, nicht aber den rein fiskalischen Zweck staatlicher Einnahmeerhöhung (BVerfG v 09.12.2008, 2 BvL 1/07, BGBl I 2008, 2888 zur Pendlerpauschale). In diesem Zusammenhang entfaltet das objektive Nettoprinzip Bedeutung im Zusammenhang mit den Anforderungen an die hinreichende Folgerichtigkeit bei der Ausgestaltung der gesetzgeberischen Grundentscheidungen, dh, im Rahmen einer einmal getroffenen Belastungsentscheidung muss der Gesetzgeber nach Maßgabe des objektiven Nettoprinzips die Ausgestaltung des Besteuerungstatbestands folgerichtig umsetzen (BVerfG v 04.12.2002, 2 BvR 400/98, BStBl II 2003, 534 zur zeitlichen Begrenzung der doppelten Haushaltsführung). Insgesamt lässt sich feststellen, dass das BVerfG Eingriffe in das objektive Nettoprinzip durch Beschränkung des WK-Abzugs eher hinnimmt, wenn sich diese Beschränkung nur auf die Höhe der Aufwendungen und nicht auf die Abzugsfähigkeit dem Grunde nach bezieht und/oder wenn alternativ der Gesetzgeber die Verfolgung eines außersteuerlichen Lenkungszwecks oder die ...

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