Rn. 889

Stand: EL 113 – ET: 12/2015

Die Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften ("Drohverlustrückstellungen", handelsrechtlich ein Muss, s Rn 863) haben lange wenigstens in der praktischen Arbeit ein Schattendasein geführt. Sie galten (und gelten nach hM) als ein Unterfall der Verbindlichkeitsrückstellungen. Zwei Ereignisse der jüngeren Rechtsentwicklung – ironisch besonders verknüpft – haben die Drohverlustrückstellung aus ihrem Schattendasein in das grelle Licht der Fachwelt befördert.

- Zum einen handelt es sich um den Vorlagebeschluss des X. Senats (BFH BStBl II 1993, 855), dem sog "Apothekerfall",
- zum anderen um das G zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform (BStBl I 1997, 928).

Denn nachdem der angerufene GrS des BFH seinen Beschluss zum Apothekerfall gerade verkündigt hatte (BFH BStBl II 1997, 735), ist durch das Machtwort des Gesetzgebers die Drohverlustrückstellung für steuerliche Zwecke (mit Übergangsregelung) abgeschafft worden (§ 5 Abs 4a EStG). Die Gesetzesneufassung ist erstmals für das Wj anzuwenden, das nach dem 31.12.1996 endet (§ 52 Abs 6a EStG idF G zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform).

Die durch den genannten Vorlagebeschluss des X. BFH-Senats beflügelte fachliterarische Diskussion (s Schrifttum vor Rn 860) stellt also für steuerliche Zwecke teilweise Makulatur dar. Die nicht mehr mögliche Bildung von Drohverlustrückstellungen in der StB stellt eine weitere Abkehr vom Maßgeblichkeitsprinzip bei der steuerlichen Gewinnermittlung im Interesse der Sanierung von Staatshaushalten dar.

 

Rn. 890

Stand: EL 113 – ET: 12/2015

Bei der steuerlichen Gewinnermittlung geht es nunmehr entscheidend darum, die Drohverlustrückstellungen von den Verbindlichkeitsrückstellungen abzugrenzen (s Rn 880, 890e). Die Lösung dieser Aufgabe wird nicht dadurch erleichtert, dass nach hM die Drohverlustrückstellung ein Unterfall ("Tochter") der Verbindlichkeitsrückstellung darstelle. Eher hilfreich ist insoweit das Bild der entfernten Verwandtschaft, wie es von Groh gezeichnet worden ist (BB 1988, 27, 32). Jedenfalls haben beide Rückstellungsarten mit unentziehbaren Verbindlichkeiten zu tun (Schön, BB Beil 9/1994, 11). Da aber zwingend Gesetzeskonkurrenz besteht – sonst wäre der Wortlaut des Gesetzes (§ 249 Abs 1 S 1 HGB) schlicht sinnwidrig –, muss es darum gehen, die Unterschiede herauszuarbeiten. Dabei kann man nach verschiedenen Kriterien vorgehen, also zB die allg Rechnungslegungsprinzipien (Imparitäts- und Realisationsprinzip, s Rn 891) als Ausgangsgröße nehmen, man kann aber auch einfach beim Gesetzeswortlaut ansetzen.

 

Rn. 890a

Stand: EL 94 – ET: 02/2012

Hier wird der letztgenannte Weg gewählt, und zwar anhand einer Interpretation des "drohenden Verlustes" und dann im zweiten Gang des "schwebenden Geschäftes". Wenig ergiebig ist dabei die Analyse des "Drohens"; dahinter verbirgt sich in erster Linie die Aussage, dass Verluste mit mehr oder weniger großer "Wahrscheinlichkeit" zu erwarten sind, man könnte auch sagen "anstehen", die aber eigentlich schon "entstanden sind" (§ 252 Abs 1 Nr 4 HGB). Dieser scheinbare Widerspruch wird durch den untechnischen Begriff "Drohen" übertüncht; ein Verlust muss zwar bereits vorliegen, nicht künftig entstehen er wird also entgegen der üblichen Sprachregelung auch nicht "antizipiert" (s Rn 345 u 895), nur ist er eben noch nicht realisiert (Imparitätsprinzip) und deshalb auch noch mit Unsicherheiten der (= vorweggenommen) Höhe nach behaftet. Hinter "Drohen" verbirgt sich also die oben (s Rn 861) angesprochene Unsicherheit über die zukünftige Entwicklung. Im Übrigen vgl Herzig in FS Welf Müller, 2001, 599.

 

Rn. 890b

Stand: EL 94 – ET: 02/2012

Von größerer Bedeutung zur Ermittlung des Inhaltes einer Drohverlustrückstellung ist deshalb der gesetzlich involvierte Begriff des "Verlustes" im Zusammenhang mit dem "schwebenden Geschäft" (s Rn 471ff). Sofern kein schwebendes Geschäft vorliegt, braucht über Drohverlustrückstellungen nicht nachgedacht zu werden. Schwebende Geschäfte iSd Bilanzrechtes sind vom bilanzierungspflichtigen Kaufmann abgeschlossene Verträge, die von beiden Seiten noch nicht erfüllt worden sind (Mayer-Wegelin in Küting/Weber, Handbuch der Rechnungslegung, 5. Auflage Rz 63 zu § 249). Dabei beginnt der Schwebezustand mit Abschluss des Vertrages; er endet bereits dann, wenn einer der beiden Vertragspartner die von ihm geschuldete Leistung erbracht hat.

 

Beispiel (nach BFH I R 17/02, BStBl II 2004, 126):

Im Fall eines Wertpapieroptionsgeschäftes endet der Schwebezustand mit Erbringung der Stillhaltervergütung. Unbeachtlich ist die noch weiter andauernde Verpflichtung des Stillhalters aus dem Optionsvertrag (s Rn 475).

Hierzu ausführlich s Anm Hoffmann, StuB 2003, 543 u Kommentierung von Christiansen, DStR 2007, 871; so auch BFH v 11.10.2007, IV R 52/04, BStBl II 2009, 705 sowie BFH v 17.11.2010, I R 83/09, DB 2011, 449.

Nach aA endet der Schwebezustand mit Erbringung der Sachleistung (IdW RS HFA 4 Tz 11; BFH v 23.06.1997, GrS 2/93, BStBl II 1997, 7...

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