ga) Regelfall: zivilrechtlicher Eigentumsübergang nach Übergang von Besitz, Nutzungen, Gefahr, Lasten

 

Rn. 170n

Stand: EL 142 – ET: 04/2020

Die zivilrechtliche Übereignung eines Grundstücks wird durch Auflassung (§ 925 BGB) und Eintragung im Grundbuch bewirkt (§ 873 BGB). Der konkrete Zeitpunkt der Umschreibung des Grundbuchs und damit des zivilrechtlichen Eigentumserwerbs ist für die Parteien nicht disponibel. Im Regelfall wird das Grundstück in Vollzug des Kaufvertrags vor der Grundbuchumschreibung übergeben. Für den Übergang des wirtschaftlichen Eigentums an Grundstücken ist die Auflassung nicht erforderlich (BFH v 13.01.2006, I B 93/05, BFH/NV 2006, 706; BFH v 20.11.2011, IV R 35/08, BFH/NV 2012, 377). Treten im Vorstadium des zivilrechtlichen Eigentumserwerbs an Grundstücken zur Inbesitznahme in Erwartung des Eigentumserwerbs verbleibende, für die Zurechnung des wirtschaftlichen Eigentums relevanten Herrschaftsbefugnisse (Nutzungen, Gefahr, Lasten) in hinreichendem Maße hinzu (s Rn 170aff), geht wirtschaftliches Eigentum mit der Folge des Zurechnungswechsels vor zivilrechtlichem Eigentum auf den Erwerber über.

Obschon vom zivilrechtlichen Eigentum abweichendes wirtschaftliches Eigentum nach der Grundaussage des § 39 AO der Ausnahme- und nicht der Regelfall ist, stellt sich dies für grundstücksbezogene Übertragungsvorgänge praktisch abweichend dar: infolge fehlender Disponibilität der Grundbucheintragung ist der Übergang wirtschaftlichen vor Übergang zivilrechtlichen Eigentums der Regelfall (vgl auch BFH v 18.05.2006, III R 25/05, BFH/NV 2006, 1747: "Regelfall, dass […] der Käufer wirtschaftliches Eigentum erwirbt, bevor er zivilrechtlicher Eigentümer geworden ist").

gb) Ausnahmefall: zivilrechtlicher Eigentumsübergang vor Übergang von Besitz, Nutzungen, Gefahr, Lasten

 

Rn. 170o

Stand: EL 142 – ET: 04/2020

Wenngleich der Regelfall zeitlicher Divergenz zwischen Übergang zivilrechtlichen und wirtschaftlichen Eigentums bei Grundstücken im vorgelagerten Übergang von Besitz, Nutzungen, Gefahr, Lasten und damit des wirtschaftlichen Eigentums besteht, kann in Ausnahmefällen auch (ggf ungewollt) der umgekehrte Fall eintreten, dass der Besitz-, Gefahr-, Nutzungs- und Lastenübergang der Grundbuchumschreibung und damit dem Übergang zivilrechtlichen Eigentums nachgehen. Die sich hier stellende Frage, ob der nachgelagerte Besitz-, Gefahr-, Nutzungs- und Lastenübergang zu einem (temporären) Verbleib des wirtschaftlichen Eigentums beim Veräußerer führt, ist für unbewegliche WG zu verneinen. Nach erfolgtem Übergang zivilrechtlichen Eigentums ist der Veräußerer auch bei (temporärerem) Zurückbehalt von Besitz, Nutzen, Lasten und Gefahren laufender Nutzung regelmäßig nicht mehr in der Lage, den (neuen) zivilrechtlichen Eigentümer dauerhaft von der Einwirkung auf das WG in einem Maße auszuschließen, dass dessen Herausgabeanspruch keine wirtschaftliche Bedeutung mehr hätte oder ein Herausgabeanspruch nicht mehr bestünde (vgl BFH v 12.04.2000, X R 69/98, BFH/NV 2000, 1331; BFH v 02.03.2004, III B 114/03, BFH/NV 2004, 1109; BFH v 18.05.2006, III R 25/05, BFH/NV 2006, 1747 im Streitfall Zurückbehalt von Besitz, Nutzen, Lasten und partieller Gefahren für 1,5 Jahre; vgl auch BFH v 17.04.1962, I 296/61, HFR 1962, 226: "das wirtschaftliche Eigentum weicht vom bürgerlich-rechtlichen Eigentum idR nur im Rahmen solcher Rechtsverhältnisse ab, in denen das bürgerlich-rechtliche Eigentum dem wirtschaftlichen Eigentum folgen soll"). Der Nutzende ist nach Verlust des zivilrechtlichen Eigentums nicht mehr in der Lage, den (neuen) zivilrechtlichen Eigentümer an einer Weiterveräußerung/Belastung des WG zu hindern, er profitiert weder von Wertsteigerungen noch hat er über die Gefahren laufender Nutzung hinausgehende Risiken (Bsp Gefahr des zufälligen Untergangs) zu tragen. Er ist zwar weiterhin Besitzer, allerdings nicht mehr Eigenbesitzer oder Besitzer in Erwartung des Eigentumserwerbs, sondern lediglich Fremdbesitzer (vgl BFH v 12.04.2000, X R 69/98, BFH/NV 2000, 1331). Die Voraussetzungen des § 39 Abs 2 Nr 1 S 1 AO für eine vom zivilrechtlichen Eigentum abweichende Zurechnung liegen insoweit nicht vor. Der Ausnahmecharakter des Auseinanderfallens von zivilrechtlichem und wirtschaftlichem Eigentum mit der Folge der vom zivilrechtlichen Eigentum abweichenden (Ausnahme-)Zurechnung kommt insoweit mit besonderer Deutlichkeit zum Ausdruck.

Ein Grundstückskaufvertrag mit der Vereinbarung des fortgesetzten (temporären) Verbleibs von Besitz, Nutzung, Lasten und Gefahren laufender Nutzung beinhaltet bei wirtschaftlicher Betrachtung mit Grundstücksverkauf und Nutzungsüberlassung zwei synallagmatisch verbundene Komponenten, die jede der Parteien zu einer Leistung gegenüber der jeweils anderen Partei verpflichtet. Die Verschaffung zivilrechtlichen Eigentums unter Besitzverbleib, Fortsetzung laufender Nutzung sowie Verbleib von Lasten- und Gefahren laufender Nutzung entspricht wirtschaftlich der Struktur eines Sale-and-operating-lease-back Geschäfts (vgl Schneider, PiR 2009, 43), für die ein Auseinanderfallen von zivilrechtlichem und wirtschaftlichem Eigentum ebenfalls nicht anzunehmen ist (Zurechnung zum Leasinggeber).

Für Fälle der Grundstücksveräußerung unter V...

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