Rn. 532

Stand: EL 100 – ET: 08/2013

Auf der Grundlage dieses subjektiven Fehlerbegriffs (zu Sachverhaltsfragen) ist ein Bilanzansatz richtig, wenn er den Erkenntnismöglichkeiten entspricht, die den Unternehmer, der seine Sorgfaltspflichten erfüllte, zu dem gewählten Bilanzansatz führen mussten, mag die bilanzielle Darstellung die Gegebenheiten am Bilanzstichtag auch objektiv falsch wiedergeben. Diese Begriffsbestimmung entspricht den Rechtsgrundsätzen, nach denen ein vorsichtig abwägender ordentlicher Kaufmann unter verständiger Würdigung aller Umstände u Verhältnisse am Bilanzstichtag bei der Bewertung der in der Bilanz angesetzten WG auch Tatsachen u Ereignisse berücksichtigen muss, die bis zur Bilanzaufstellung bekannt geworden sind u sich auf die Verhältnisse am Bilanzstichtag iS einer bloßen Werterhellung beziehen (vgl BFH BStBl II 1978, 497; 1984, 723; BFH/NV 1990, 358; s Rn 421ff).

 

Rn. 533

Stand: EL 100 – ET: 08/2013

Hiernach kann ein Bilanzansatz objektiv gegen Bilanzierungsvorschriften des Handelsrechts o des ESt-Rechts verstoßen, aber gleichwohl mit Rücksicht auf den subjektiven Fehlerbegriff kein falscher Bilanzansatz iSd § 4 Abs 2 EStG sein (vgl bereits Flume, DB 1981, 2505). Der objektiv falsche Bilanzansatz darf nicht berichtigt werden, wenn ein gewissenhafter Kaufmann im Zeitpunkt der Bilanzaufstellung ohne Verletzung seiner Sorgfaltspflicht ihn bei vernünftiger kaufmännischer Beurteilung der Verhältnisse am Bilanzstichtag subjektiv richtig gewählt hat (vgl BFH BStBl II 1986, 136 oder BFH v 11.10.1960, I 56/60 U, BStBl III 1961, 3). Hinter dieser Nomenklatur von "objektiv falsch" u "subjektiv richtig" verbirgt sich die in dieser Kommentierung immer wieder angesprochene notwendigerweise "unrichtige", weil geschätzte Wertermittlung wesentlicher Bilanzposten (s Rn 18ff, s Rn 522a).

 

Rn. 533a

Stand: EL 100 – ET: 08/2013

Das in diesen Fällen obwaltende Hantieren mit "subjektiv" und "objektiv" richtig bzw fehlerhaft (vgl hierzu U. Prinz, DB 2010, 2634) als Gegensatzpaar – wie auch hier zuvor – verleitet notorisch zu Missverständnissen. Hinzu tritt die unbestimmte Korrekturgröße "GoB" im Gesetzeswortlaut. Der Kaufmann kann in seiner menschlichen Beschränktheit immer nur die am Bilanzstichtag bestehenden Verhältnisse faktischer und rechtlicher Art berücksichtigten, die ihm bis zur Bilanzerstellung bei Anwendung größtmöglicher Sorgfalt bekannt werden.

 

Beispiel:

Der Kaufmann (Geschäftsführer, Vorstand) hat am Stichtag 31.12.01 eine Kundenforderung aus laufendem Geschäftsverkehr von 1 000. Die Erhöhung ist auf zunehmend schleppende Zahlungsbereitschaft zurückzuführen. Bis zur Abschlusserstellung am 19.02.02 erhöht sich der Saldo nach Eingang von 170 wegen Neubelieferung auf 1 180. Die finanzielle Bedrängung des langjährig "guten" Kunden ist aus der Tagespresse bekannt, Bankauskünfte sind eher pessimistisch formuliert, andere Erkenntnisquellen gibt es nicht.

Der Kaufmann wählt in der HB wegen des strengen Niederstwertprinzips und der Vorliebe für runde Zahlen eine Wertberichtigung von 40 % = 400 und übernimmt diese auch in die StB. Am 17.07.02 beantragt der Kunde das Insolvenzverfahren. Der Saldo des Kundenkontos beträgt jetzt 1 320.

Ergebnis:

Der Kaufmann hat alles "richtig" gemacht, gleichwohl war aus Sicht des 17.07.02 die Bewertung zum 31.12.01 "objektiv falsch".

Man kann aus diesem Bsp folgende Schlüsse ziehen:

- Zur Erstellung einer "objektiv richtigen" Bilanz muss solange zugewartet werden, bis der Sachverhalt – hier die Werthaltigkeit einer Kundenforderung am Bilanzstichtag – endgültig geklärt ist.
- Zur fehlerfreien "subjektiv richtigen" Bilanz bedarf es "nur" der Beachtung größtmöglicher Sorgfalt durch den Bilanzierer.

Schließt man sich der erstgenannten Folgerung an, muss mit der Bilanzerstellung bis zum "objektiven" Klärung aller am Bilanzstichtag noch "offenen" Posten gewartet werden. Das kann Jahre dauern (im Bsp geht der Kunde alternativ am 20.03.03 in die Insolvenz), bis dahin treten neue ungeklärte Sachverhalte auf. Im Ergebnis wird im Interesse der objektiv richtigen Bilanz überhaupt nicht mehr bilanziert.

An diesem Ergebnis – nur die subjektive Richtigkeit (bei der Beurteilung von Tatfragen) stellt eine praktikable Regelung dar – ändert sich auch dann nichts, wenn die subjektive Richtigkeit durch die virtuelle Figur eines ordentlichen Kaufmanns (so Stapperfend, DStR 2010, 2163) ersetzt wird, dessen hypothetische Entscheidung im betreffenden Sachverhalt den Richtigkeitsmaßstab liefert, weil er die Gesetzesvorgabe der GoB beachtet. Dieser Homunkulus bewegt sich – wenn seine Inanspruchnahme einen Sinn haben sollte – außerhalb der irdischen Sphäre und trägt deshalb nur als Denkfigur zur "Begründung" einer richterlichen Entscheidung bei, die dann ohne Verstoß gegen die Denkgesetze als "objektiv richtig" qualifiziert werden – und das mit einem Erkenntnisstand von vielleicht 5 Jahren post festum.

Gesteht man diesem "Vergleichskaufmann" umgekehrt die Befindlichkeit des species humana zu, dann kann er auch n...

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