ba) Besitz

baa) Besitzerlangung durch Übergabe

 

Rn. 170a

Stand: EL 142 – ET: 04/2020

Der Besitz als – im Unterschied zu unkörperlichen WG wie Anteile an KapGes oder immateriellen WG – wesentliche Herrschaftsbefugnis an einem unbeweglichen WG wird durch Erlangung der tatsächlichen Gewalt über das WG erworben (§ 854 Abs 1 BGB). Die Erlangung des Besitzes kann durch Übergabe der Sache durch den bisherigen Besitzer erfolgen, bei Grundstücken auch durch Übergabe der Schlüssel (BGH v 30.05.1958, V ZR 295/56, NJW 1958, 1256; BFH v 17.12.2009, III R 92/08, BStBl II 2014, 190), eine einseitige Besitzergreifung durch den Erwerber mit Einverständnis des Übergebenden steht der Übergabe gleich (BGH v 10.01.1979, VIII ZR 302/77, NJW 1979, 714). Die Übergabe ist ein Realakt, dh "eine auf einen tatsächlichen Erfolg gerichtete Willensbetätigung" (BFH 17.12.2009, III R 92/08, BStBl II 2014, 190). Die Besitzverschaffung kann als Realakt dem kaufvertraglich vorgesehenen Übergabezeitpunkt vor- oder nachgelagert sein. Für die Zurechnung entscheidend ist nicht die vertraglich vorgesehene, sondern die tatsächliche Übergabe (BFH v 17.12.2009, III R 92/08, BStBl II 2014, 190); von der formalen Vereinbarung eines vom Zeitpunkt der tatsächlichen Übergabe abweichenden Übergabezeitpunkts bleibt die Zurechnung des betreffenden WG unbeeinflusst. Verschaffung mittelbaren Besitzes durch Vereinbarung eines Besitzmittlungsverhältnisses ist grds ausreichend.

bab) Besitz in Erwartung des Eigentumserwerbs: rechtlich geschützte auf Erwerb gerichtete Position

 

Rn. 170b

Stand: EL 142 – ET: 04/2020

Vom zivilrechtlichen Eigentum abweichendes wirtschaftliches Eigentum an einem unbeweglichen WG setzt nicht nur dessen bloße Inbesitznahme voraus (was bspw auch in Bezug auf einen Mieter/Pächter der Fall ist), sondern vielmehr, dass der Besitz in Erwartung des Eigentumserwerbs eingeräumt wird (zB BFH v 15.03.1973, VIII R 90/70, BStBl II 1973, 591; BFH v 10.06.1988, III R 18/85, BFH/NV 1989, 348; BFH v 20.11.2011, IV R 35/08, BFH/NV 2012, 377; BFH v 01.02.2012, I R 57/10, BStBl II 2012, 407). Hiervon ist auszugehen, wenn zwischen Eigentümer und Besitzer schuldrechtliche Bindungen bestehen, die gewährleisten, dass der Besitzer über eine rechtlich verdichtete, auf den nachfolgenden Eigentumserwerb gerichtete Position verfügt, die ihm gegen seinen Willen nicht mehr entzogen werden kann (zB BFH v 01.10.1997, X R 91/94, BStBl II 1998, 203; Lüdenbach, PiR 2010, 237). Voraussetzung des Besitzes in Erwartung des Eigentumserwerbs und damit des wirtschaftlichen Eigentumswechsels ist eine – ggf im Anschluss an ein Nutzungsverhältnis – eingreifende, konkret auf Eigentumsübertragung gerichtete vertragliche Bindung zu a priori feststehenden Bedingungen (BFH v 10.06.1988, III R 18/85, BFH/NV 1989, 348; BFH v 01.10.1997, X R 91/94, BStBl II 1998, 203; BFH v 07.03.2001, X R 147/97, BFH/NV 2001, 1235; BFH v 18.07.2001, X R 39/97, BStBl II 2002, 284; BFH v 20.11.2011, IV R 35/08, BFH/NV 2012, 377).

Eine lediglich subjektive Erwartung des Eigentumserwerbs ist nicht ausreichend, diese muss durch eine entsprechende Rechtsposition abgesichert sein (zum Handelsrecht auch BGH v 06.11.1995, II ZR 164/94, NJW 1996, 458). Eine Zurechnung auf den künftigen Erwerber kommt nicht in Betracht, solange die Beteiligten die Eigentumsübertragung nur beabsichtigen, aber noch keine auf die Übertragung des Eigentums gerichteten vertragliche Bindung eingegangen sind, da der potenzielle Erwerber den bisherigen Eigentümer zuvor nicht iSd § 39 Abs 2 Nr 1 AO von der Einwirkung auf das WG ausschließen kann (BFH v 18.07.2001, X R 39/97, BStBl II 2002, 284; BFH v 20.11.2011, IV R 35/08, BFH/NV 2012, 377). Nutzt der (potenzielle künftige) Erwerber das Grundstück ohne eine auf Eigentumsübergang gerichtete vertragliche Bindung lediglich aufgrund seines Rechts zB als Mieter/Pächter, besitzt der (potenzielle künftige) Verkäufer das Grundstück weiterhin als ihm gehörend, er bleibt mittelbarer Eigenbesitzer (§§ 868, 872 BGB; vgl BFH v 27.09.2001, X R 67/00, BFH/NV 2002, 327). Der (potenzielle) Erwerber kann auch bei vorzeitiger Besitzeinräumung idR frühestens mit vertraglicher Bindung zu feststehenden Konditionen wirtschaftlicher Eigentümer werden. "Freischwebendes" (Lüdenbach/Hoffmann, DB 2009, 862; Lüdenbach, PiR 2010, 237), vom Zivilrecht gänzlich gelöstes wirtschaftliches Eigentum (iS einer "unkontrollierten wirtschaftlichen Betrachtungsweise" (BGH v 06.11.1995, ZR 164/94, NJW 1996, 458) scheidet damit aus.

Dass dem wirtschaftlichen der zivilrechtliche Eigentumserwerb tatsächlich nachfolgt, ist kein Begriffsmerkmal wirtschaftlichen Eigentums (BFH v 15.03.1973, VIII R 90/70, BStBl II 1973, 591: nur Bestätigung für dessen Vorliegen).

bac) Besitz in Erwartung des Eigentumserwerbs bei unwirksamer schuldrechtlicher Bindung

 

Rn. 170c

Stand: EL 142 – ET: 04/2020

§ 41 Abs 1 S 1 AO, der anordnet, das die Unwirksamkeit eines Rechtsgeschäfts für die Besteuerung unerheblich ist, soweit und solange die Beteiligten das wirtschaftliche Ergebnis dieses Rechtsgeschäfts gleichwohl eintreten und bestehen lassen, gilt auch iRd § 39 AO bei der Prüfung der personellen Zurechnung (BFH v 10.04.1973, VIII R 157/72, BStBl II 1973, 595 zur Vorgängervorschrift § 5 Abs 3 StAnp...

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