Rn. 244

Stand: EL 148 – ET: 12/2020

Unter Entstrickung eines WG des BV mit Auslandsbeteiligung ist zu verstehen, dass in einem WG gebundene stille Reserven der deutschen Besteuerungshoheit ohne Rechtsträgerwechsel entzogen ("entstrickt") werden, ohne dass eine "Entnahme zu betriebsfremden Zwecken" iS § 4 Abs 1 S 2 EStG vorliegt. Die Ablehnung des finalen Charakters des Entnahmebegriffs (s Rn 235) bringt Gefahren für die Sicherung des deutschen Steuersubstrats, wenn bislang unversteuerte stille Reserven die deutsche Fiskalhoheit (zu) verlassen (drohen). Die insoweit in das EStG eingezogenen Sicherungsmaßnahmen beziehen sich im Wesentlichen auf folgende grenzüberschreitende Sachverhalte:

  • Wegzug einer natürlichen Person mit Anteilen iS des § 17 EStG in eine ausländische Steuerhoheit. Gegenmaßnahmen: sog Wegzugsbesteuerung nach § 6 AStG.
  • Sitzverlegung einer KapGes oder Genossenschaft, an der eine Beteiligung iS des § 17 EStG besteht. Gegenmaßnahme: Veräußerungsfiktion gemäß § 17 Abs 5 EStG.
  • Verlagerung betrieblicher Aktivitäten vom Inland in das Ausland. Gegenmaßnahme: Entnahmefiktion gemäß § 4 Abs 1 S 3, 4 EStG (s Rn 248).
 

Rn. 245

Stand: EL 148 – ET: 12/2020

Für VZ vor 2006 (vor Gültigkeit des SEStEG v 07.12.2006, BGBl I 2006, 2782) konnte sich eine Entstrickungsbesteuerung nicht auf einen allgemeinen gesetzlichen Entstrickungstatbestand stützen. Die FinVerw nahm in den Betriebsstätten-Verwaltungsgrundsätzen (BMF v 24.12.1999, BStBl I 1999, 1076 Rz 2.6.1) gleichwohl bei Überführung eines WG aus dem Inland in eine ausländische Betriebsstätte ein Recht Deutschlands zur Besteuerung der stillen Reserven an, wenn ein DBA mit Freistellung der Betriebsstätteneinkünfte bestand oder eine WG-Überführung aus einer Anrechnungs- in eine Freistellungsbetriebsstätte erfolgte. Erfolgte die Überführung in eine ausländische Betriebsstätte in einem DBA-Staat mit Anrechnungsmethode bzw in einem Nicht-DBA-Staat, war eine Entstrickungsbesteuerung nicht vorgesehen, da die Erfassung stiller Reserven grundsätzlich sichergestellt war.

Die auf die "entstrickende" Erfassung stiller Reserven ausgerichtete Verwaltungspraxis wurde bereits für VZ vor 2006 – noch vor Aufgabe der finalen Entnahmetheorie (s Rn 235) – wenigstens in zwei Fällen vom BFH unterschiedlich beurteilt:

Billigkeitshalber gewährte die Verwaltung eine aufgeschobene Besteuerung bis zur Veräußerung des betreffenden WG, ansonsten die Bildung eines passiven Ausgleichspostens, der innerhalb von 10 Jahren aufzulösen war.

 

Rn. 246

Stand: EL 148 – ET: 12/2020

VZ ab 2006: Die bzgl der Besteuerung entstrickter stiller Reserven unsichere rechtliche Grundlage sowie europarechtliche Vorgaben haben den Gesetzgeber zu einer Neuordnung der "Entstrickungsbesteuerung" für stille Reserven, die der deutschen Fiskalhoheit (zu) entgehen (drohen), veranlasst (SEStEG v 07.12.2006, BGBl I 2006, 2782). Mit dem Ziel "der Sicherstellung der Aufdeckung und Besteuerung der in der Bundesrepublik Deutschland entstandenen stillen Reserven von zum BV gehörenden WG" (BT-Drucks 16/2710, 28) wurde mit (Rück-)Wirkung ab VZ 2006 mit § 4 Abs 1 S 3 EStG ein allgemeiner Entstrickungstatbestand gesetzlich verankert (Entstrickungstatbestand, kein allgemeines Entstrickungsprinzip, dazu Schnitger, Die Entstrickung im Steuerrecht, 2013, 10, 117). Durch den allg Entstrickungstatbestand in § 4 Abs 1 S 3 EStG werden Ausschluss oder Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechtes aus der Veräußerung oder der Nutzung eines WG einer Entnahme für betriebsfremde Zwecke gleichgestellt (Entnahmefiktion). Eine entsprechende Vorschrift enthält § 12 Abs 1 KStG für Körperschaften, allerdings systembedingt nicht durch Fiktion einer Entnahme, sondern einer Veräußerung.

Der allgemeine Entstrickungstatbestand § 4 Abs 1 S 3 EStG sollte ausweislich der Gesetzesbegründung lediglich Klarstellungscharakter haben und einen bereits zuvor bestehenden, höchstrichterlich entwickelten und von der FinVerw angewandten Entstrickungstatbestand bei Wegfall des deutschen Besteuerungsrechts gesetzlich regeln (BT-Drucks 16/2710, 28). Die Basis dieser Klarstellungsintention ist gleich in mehrfacher Hinsicht problematisch:

(1) Der gesetzlich verankerte Entstrickungstatbestand bewirkte (trotz Abmilderung durch § 4g EStG für die Überführung von WG des AV innerhalb der EU) gegenüber der vorherigen Verwaltungspraxis keine bloße gesetzliche Fixierung, sondern vielmehr eine substanzielle Verschärfung der Entstrickungsbesteuerung (s Carle, KÖ...

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