Rn. 2021

Stand: EL 148 – ET: 12/2020

Materielle Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Freibetrags sind (alternativ) die Vollendung des 55. Lebensjahrs des Veräußerers (s Rn 2022) bzw seine dauernde Berufsunfähigkeit im sozialversicherungsrechtlichen Sinne (s Rn 2023f). Dazu kommt – formell – ein ordnungsgemäßer Antrag (s Rn 2050) und – negativ – eine nicht bereits früher erfolgte Inanspruchnahme im Rahmen einer Betriebsveräußerung oder -aufgabe (kein "Freibetragsverbrauch"; s Rn 2036).

1. Vollendung des 55. Lebensjahrs

 

Rn. 2022

Stand: EL 148 – ET: 12/2020

Für die Inanspruchnahme aufgrund des Lebensalters ist es erforderlich (und ausreichend), dass der StPfl zum Zeitpunkt der Veräußerung das 55. Lebensjahr vollendet hat. Ein Lebensjahr ist mit Ablauf des Tages vollendet, der dem Geburtstag vorangeht (§ 108 Abs 1 AO iVm §§ 187 Abs 2 S 2, 188 Abs 2 BGB; Kobor in H/H/R, § 16 EStG Rz 708 (November 2018)).

 

Beispiel: Berechnung der Vollendung des 55. Lebensjahrs

Der am 07.07.1971 geborene K kann den Freibetrag ab dem 07.07.2026 (Zeitpunkt der Veräußerung/Aufgabe) in Anspruch nehmen, da er mit Ablauf des 06.07.2026 das 55. Lebensjahr vollendet hat.

Anders ausgedrückt kann der Freibetrag nur in Anspruch genommen, wenn Betriebsveräußerung oder -aufgabe frühestens am 55. Geburtstag erfolgen (Graw in K/S/M, § 16 EStG Rz I9 (Dezember 2017)).

2. Dauerhafte Berufsunfähigkeit

 

Rn. 2023

Stand: EL 148 – ET: 12/2020

Neben dem Erreichen der in s Rn 2022 genannten Altersgrenze ist das Vorliegen einer dauerhaften Berufsunfähigkeit eine weitere Alternative, um den Freibetrag in Anspruch nehmen zu können. Maßstab für die Beurteilung und Feststellung der dauerhaften Berufsunfähigkeit ist allein das Sozialversicherungsrecht (OFD Nds v 20.12.2011, S 2242–94 – St 221/St 222, DB 2012, 377 Tz 377; Wacker in Schmidt, § 16 EStG Rz 579 (39. Aufl); FG RP v 16.09.2008, 2 K 2140/07, EFG 2008, 1954; vgl zur bis (einschließlich) 1995 vorgenommenen eigenständigen Auslegung BFH v 26.09.1996, IV R 17/96, BFH/NV 1997, 224).

Nach der derzeitigen Regelung in § 240 Abs 2 SGB VI liegt Berufsunfähigkeit dann vor, wenn die Erwerbsfähigkeit des Veräußerers wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Aufgrund dieses Verweises genügt eine Minderung der Erwerbsfähigkeit im vorgenannten Sinne für die Annahme der dauerhaften Berufsunfähigkeit für Zwecke des § 16 EStG (ebenso Kobor in H/H/R, § 16 EStG Rz 709 (Februar 2013)). Auf die Versicherteneigenschaft im Sinne des gesetzlichen oder privaten Versicherungsschutzes kommt es dabei nicht an. Der Verweis in § 16 Abs 4 EStG auf das Sozialversicherungsrecht ist mE ein dynamischer Verweis, Änderungen des SGB VI wirken sich somit auf das Steuerrecht aus.

 

Rn. 2024

Stand: EL 148 – ET: 12/2020

Aus § 240 Abs 2 SGB VI folgt auch, dass es auf den bisherigen Beruf ankommt, und zwar auf den ausgeübten, nicht auf den erlernten Beruf (so wohl auch OFD Nds v 20.12.2011, S 2242–94 – St 221/St 222, DB 2012, 377 Tz 377). Ob der ausgeübte Beruf ein anerkannter Ausbildungsberuf oder ein freier (uU in gewerblicher Rechtsform) ausgeübter Beruf ist, ist unerheblich. Die für sozialversicherungsrechtliche Zwecke bedeutsamen sog Verweisungsberufe nach § 240 Abs 2 S 2–4 SGB VI sind grundsätzlich nur beachtlich, wenn sie im veräußerten oder aufgegebenen Betrieb ohne größere Schwierigkeiten hätten ausgeübt werden können (FG D'dorf v 20.02.2002, 16 K 5432/99 E, EFG 2002, 823), was mE bei einer ggf erforderlichen Umschulung nicht mehr der Fall ist. Insoweit hat die sozialversicherungsrechtliche Regelung eine andere Zielsetzung als die steuerliche, die vor allem verhindern soll, dass eine durch Alter oder Berufsunfähigkeit (mit)verursachte Betriebsveräußerung oder -aufgabe zu der mit einer einmaligen Auflösung zusammengeballter stiller Reserven verbundenen Härte führt (FG D'dorf v 20.02.2002, 16 K 5432/99 E, EFG 2002, 823; FG RP v 16.09.2008, 2 K 2140/07, EFG 2008, 1954).

Zwingend ist das mE nicht, da es nicht darauf ankommen kann, ob Alter oder Berufsunfähigkeit für die Betriebsveräußerung oder -aufgabe ursächlich sind (ebenso OFD Nds v 20.12.2011, S 2242–94 – St 221/St 222, DB 2012, 377 Tz 377; ebenso Kobor in H/H/R, § 16 EStG Rz 709 (Februar 2013); vgl auch Kanzler, FR 1995, 851, wonach der Wegfall der kausalen Konjunktion "wegen" allein zufällig erfolgte, ohne dass der Gesetzgeber damit von der bis 1995 geltenden Rechtslage abweichen wollte; Jacobsen in Fuhrmann/Kraeusel/Schiffers, § 16 EStG Rz 289 (01.11.2017); nicht ganz eindeutig Schallmoser in Blümich, § 16 EStG Rz 695 (Juli 2019), wonach die Veräußerung durch die Berufsunfähigkeit veranlasst sein muss), schon weil der Normtext diese Verbindung nicht mehr verlangt (vgl § 16 Abs 4 EStG in der bis zum 31.12.1995 geltenden Fassung: "wegen dauernder Berufsunfähigkeit"). Hierauf verzichtet der Gesetzgeber wegen der komplizierten Überprüfbarkeit zu Recht. Es genügt, wen...

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